Eine Trickkiste

„Eine Methode, das ist ein Trick.“

Hier versammeln wir einige Vorschläge, um mit Schüler_innen / Jugendlichen Sozialforschung zu machen. Wir verstehen diese als Anregung. Und weil begeisterte Menschen manchmal denken, sie könnten zaubern, haben wir es die „Trickkiste“ genannt.

 

  • In dieser Sammlung werden einige der zentralen Methoden qualitativer Sozialforschung, wie das Interview, die teilnehmende Beobachtung oder das Forschungstagebuch vorgestellt, in einen sozialwissenschaftlichen Rahmen gesetzt und für die Arbeit mit Jugendlichen adaptiert. Ausgangspunkt dabei sind unsere eigenen konkreten Erfahrungen mit den Jugendlichen in unseren Forschungsgruppen. Wir haben versucht diese Erfahrungen so darzustellen, dass sie nachvollzogen und adaptiert werden können.
  • In unserer praktischen Arbeit mit den Jugendlichen haben wir darüber hinaus immer wieder Verfahren entwickelt, erprobt oder schlicht gemacht, die sich im Nachhinein als äußerst nützlich erwiesen haben, um bestimmte sozialwissenschaftliche Fragestellungen zu öffnen oder zu schärfen. Einige, die wir für besonders ausbaufähig halten, werden hier ebenfalls ausführlicher dargestellt. Wir sehen darin auch einen Beitrag zur Erweiterung des spezifischen Methodenfundus in der speziell mit Jugendlichen partizipativ durchgeführten Forschung.
  • Gerahmt werden die Vorstellungen der einzelnen Methoden durch zwei allgemeinere Texte: Einen Text zu „Wissenschaft trifft Schule“, der Grundbegriffe wissenschaftlicher Forschung aus der Sicht einer Sozialwissenschafterin erklärt und einen prinzipiellen Text zum „zirkulären Forschen“, das unsere Haltung im gesamten Projekt entscheidend prägte.
  • Die einzelnen Texte verbinden konkrete Erfahrungen aus unserem Forschungsprojekt mit einer kritischen Reflexion der eigenen Anwendungen sowie ausgewählten sozialwissenschaftlichen Thesen und entwickeln daraus Anregungen zur Weiterarbeit.
  • Jedem Text ist ein „Ideenpool“ zur Durchführung der beschriebenen Methode vorangestellt. Hier werden Hinweise zur konkreten Anwendung der sozialwissenschaftlichen Methode mit Schüler_innen gegeben. In den nachfolgenden Textpassagen wird die Methode jeweils genauer erklärt, ausführlichere Beispiele gegeben und wissenschaftliche Bezüge
  • Die einzelnen Texte sind bewusst recht unterschiedlich in Länge, Schreibstil und Theoriebezügen gehalten, um dadurch die Vielfalt unserer Arbeitsweisen sowie die unterschiedliche Herkunft der einzelnen Methoden transparent zu machen: Entstanden einzelne Verfahren aus der eigenwilligen Alltagspraxis (wie z.B. das Mit-Zeichnen), so werden diese auch aus dem konkreten Arbeiten heraus erzählt.
  • Einzelne Fachtermini sind mit spezifischen Internetseiten verlinkt, sodass hier weiter gelesen werden kann; andere werden im Glossar, welches sich am Ende des pdf-Dokuments befindet, kurz
  • Um ganz konkrete praktische Anregungen zu liefern, finden sich hier auch einige kurze „Musterdesigns“ aus unserer Praxis und eine Linksammlung zu weiteren
  • Die einzelnen Texte sind miteinander verlinkt, sodass die Bezüglichkeit einzelner

Verfahren nachvollzogen werden kann. Sie können aber auch als eigenes pdf ausgedruckt und handbuchartig verwendet werden.

Generell sind alle hier vorgestellten Verfahren aus unserer Praxis mit den Jugendlichen heraus entwickelt und dahingehend reflektiert worden. Da diese Jugendlichen im Projektzeitraum zwischen 12 und 14 Jahren alt waren, viele Deutsch nicht als (einzige) Muttersprache hatten und aus bildungsbenachteiligten Familien kamen, richten sich unsere Vorschläge auch an Lehrer_innen bzw. Pädagog_innen in diesem Kontext. Wir verfolgen damit nicht zuletzt das Ziel, zu ermutigen, Sozialforschung etwa über Migration und „Bildungsferne“ mit den Jugendlichen gemeinsam durchzuführen und dadurch ihre Erfahrungen und Gedanken zu inkludieren.

Keiner unserer Vorschläge versteht sich als Rezept sondern als Ideen- und Reflexionspool, der zum freien Gebrauch aber vor allem auch zum kritischen Kommentar und zur Erweiterung einladen soll.

 

Zirkuläres Forschen

von Veronika Wöhrer.

Abb. 1: Plakat der Forschungsgruppe zum Thema Frauenfußball

Was bedeutet „zirkuläres Forschen“?

Qualitative Sozialforschung findet zumeist in zirkulären Prozessen statt. Das bedeutet, dass verschiedene Phasen im Forschungsprozess abwechselnd wiederkehren. Grob gesprochen gibt es in einem Sozialforschungsprozess Phasen der Datenerhebung, der Datensicherung und der Datenanalyse.

Datenerhebung bedeutet das Sammeln von Daten, z.B. das Durchführen von Interviews, von Recherchen, von Beobachtungen. Die Datensicherung besteht beispielsweise darin, Beobachtungsprotokolle in Reinschrift zu bringen, Interviewmitschnitte abzuspeichern und Interviews zu transkribieren, Daten in Statistikprogramme einzugeben, etc. Die Datenanalyse schließlich bedeutet das Bearbeiten und Interpretieren der gesammelten Daten in einer Form, die einer Beantwortung der Forschungsfrage näher kommt. Solche Analyseverfahren können beispielsweise Inhaltsanalysen sein, statistische Berechnungen oder auch komplexe qualitative Interpretationsverfahren von Interviewtranskripten. „Daten“ selbst sind also „Angaben“ oder „Werte“, die etwas über bestimmte Personen und gesellschaftliche Zusammenhänge aussagen und die gesammelt, gesichert, untersucht und aus denen Muster oder Systematiken erkannt werden können.

Zirkuläres Forschen in der empirischen Sozialforschung

Barney Glaser und Anselm Strauss, zwei US-amerikanische Medizinsoziologen, die als Begründer einer Herangehensweise namens „Grounded Theory“ (dies könnte mit

„gegenstandsbezogene Theoriebildung“ übersetzt werden) gelten, haben den

„zyklischen Forschungsprozess“ als konstitutiv für ihre Herangehensweise beschrieben (Glaser/Strauss 1998). Sie meinen, dass eine Forschung den Kreislauf von Datenerhebung, Datensicherung und Datenanalyse nicht nur einmal, sondern mehrmals durchlaufen muss, wenn sie den Anspruch hat, fundierte („grounded“) Theorien aufzustellen. Nach der ersten Phase der Datenanalyse stellen sich neue Fragen, denn mit einem nun detaillierteren Wissen über das Forschungsfeld, weiß der/die Forscher_in, welche wichtigen Faktoren nun sinnvollerweise weiter untersucht werden können: wo genauer in die Tiefe zu gehen ist, was wesentlich wäre zu ergänzen, etc. Daher geht der/die Forscher_in noch einmal ins Feld zurück und befragt beispielsweise noch zwei wichtige Personen, von denen er/sie erst jetzt erfahren hat oder sucht mit einem abgeänderten Fragebogen neue Interviewpartner_innen, beobachtet an einem anderen Ort oder zu einer anderen Tageszeit, etc. Diese „Zyklen“ wiederholen sich nun so lang, bis genug Daten gesammelt sind, bis die Kategorien (das sind erste Abstraktionen und Zusammenfassungen der Daten – beispielsweise „soziales Eingebundensein“ als Kategorie, um zu beschreiben, welche Schüler_innen im Pausenalltag besonders „umringt“ sind und welche andererseits leicht Opfer von Sekkieren oder Attacken werden) „gesättigt“ sind. Das bedeutet: bis keine weiteren Fälle mehr gefunden werden, die diese Kategorie (und ihre angenommene Bedeutung) umdefinieren, neu ordnen, widerlegen, etc. Man nennt dies auch „theoretische Sättigung“.

Ein „Nebeneffekt“ dieses zyklischen Prozesses ist, dass der/die Forscher_in bisweilen den Eindruck hat, immer wieder zum gleichen Ausgangspunkt zurück- zukommen („Jetzt analysiere ich das gleiche Protokoll schon zum dritten Mal!“). Dies ist aber notwendig, weil in jedem Durchgang neue Fragen auf Grund von mehr Wissen gestellt werden. D.h. meine Herangehensweise an das Protokoll beim ersten Analysedurchgang ist eine andere als beim zweiten und beim dritten Durchgang, wo ich bereits viel mehr Vorwissen durch weitere Datenerhebungen und – analysen gewonnen habe, daher auch andere und präzisere Fragen und Vermutungen auf- stellen kann. Die dritte Interpretationsrunde wird mir also ganz andere Einsichten eröffnen als die erste und die zweite es getan haben, obwohl ich scheinbar das gleiche mache: nämlich immer noch das selbe („alte, doofe“) Beobachtungsprotokoll zu analysieren. So wurden beispielsweise in der Forschungsgruppe zu „Liebesorten in der Schule“ Aussagen von Schüler_innen, dass es „fad“ sei (weil „wir machen eh immer das gleiche“), konterkariert von Erkenntnissen, darüber, wie das eigene

Beobachten die Wahrnehmung der Welt, aber auch die beobachtete Welt selbst verändert. Aussagen, wie „Zuerst denkst du, es ist ganz einfach love ist love. Und dann merkst du, es geht um kompliziertere Sachen.“ wurden durch die intensive und wiederholte Auseinandersetzung mit mehreren Aspekten zweier Protokolle ermöglicht. (Wir haben hierzu einen Artikel bei der online-Zeitschrift FQS eingereicht. Dieser befindet sich jedoch noch im review-Prozess und kann daher hier derzeit nicht zur Verfügung gestellt werden.)

Ein Beispiel aus der Arbeit mit den Schüler_innen

Die Zirkularität des Forschungsprozesses begleitete jede unserer Forschungsgruppen. Ich möchte hier ein Beispiel wählen, in dem dies auf Grund eines Plakates für Außenstehende besonders gut sichtbar wird. Die Forschungsgruppe zu Frauenfußball bildete sich als Untergruppe der Fußballgruppe, weil einige Mädchen, die zunächst in diese Gruppe gehen wollten, sich bald unwohl fühlten angesichts der leidenschaftlichen Fokussierung der Buben auf Männerfußball und des quasi doppelten Ausschlusses von Frauen, mit dem sie konfrontiert waren: sowohl als Akteurinnen im beforschten Feld als auch als Forscherinnen in der Gruppe erlebten sie Frauen und Mädchen als marginalisiert. Sie beschlossen daraufhin eine eigene Untergruppe zu gründen und der Frage nachzugehen, wie Frauen im Fußball vertreten sind. Sie lasen ein Interview, das in der Zeitschrift Echo (Echo 2008: 9), die wir von unserer Partnerorganisation Fairplay erhalten hatten, mit einer Fußballerin geführt worden war. In dieser Zeitschrift fand sich der Begriff „Sexismus“, der Interesse und Assoziationen bei den Mädchen hervorrief. Eine dieser Assoziationen „Kein Sex beim Sport“ wurde am Plakat notiert. Die Mädchen wollten mehr von der Fußballerin wissen, die wie sie türkischer Herkunft war. Mit Hilfe einer Projektmitarbeiterin fanden sie die Telefonnummer heraus, riefen sie an und machten für den übernächsten Tag ein Gespräch mit ihr aus. Sie erarbeiteten einen Interviewleitfaden, nahmen das Aufnahmegerät mit und befragten die Fußballerin in einem Café nach ihrer Motivation, ihrem Werdegang, und zu Frauenfußball.

Die Vorstellung der Mädchen von Sexismus hatte sich nun geschärft. Da sie das Plakat wie ein Forschungstagebuch weiterführten, löschten sie die alten Aufschriften nicht, sondern schrieben neue weiter unten dazu. „Stop für Sexismus“, „Warum glauben Männer, dass Frauen nicht Fußball spielen können?“ aber auch „Warum sind viele Fußballerinnen Lesben?“ waren Fragen, die sich aus diesem Interview ergaben. In einem Gespräch mit einer Forscherin und in weiteren Recherchen stellte sich für die Mädchen heraus, dass Sexismus ein Fachbegriff ist, der auf viele gesellschaftliche Bereiche angewandt wird, dass er mit einem Wunsch nach „Gleichberechtigung“ zu tun hat und dass auf die Frage „Wo ist der Unterschied?“ zwischen Männer- und Frauenfußball voreilige Antworten zu haben, sexistisch ist. Bei diesen, auf dem Plakat aufgezeichneten, Erkenntnissen, begann der nächste Zirkel mit den nächsten Fragen, danach, wie Sexismus auch das Arbeiten in der gemeinsamen Gruppe prägte, wie er im Umgang der Buben mit Fußball (als reinem Männerfußball) sichtbar wird und inwiefern Sexismus in der Klassenkultur zu finden ist. Dieser Zirkel wurde in der gemeinsamen Arbeit erst begonnen und ist daher auf dem Plakat nur mehr in Ansätzen dokumentiert.

Die Mädchen gingen bei der Erforschung ihrer Frage nach Frauen im Fußball also zirkulär vor: Sie hatten Fragen, gingen ins Feld, sammelten Daten, stellten neue Fragen, sammelten neue Daten und präzisierten auf diesem Wege ihre Erkenntnisse. Sie erfuhren in jeder Forschungsphase mehr und dokumentierten ihre Fragen und Erkenntnisse auf dem Plakat. Anhand des Begriffes Sexismus ist der Weg von den ersten Assoziationen zu neuen Fragen und weiteren Erkenntnissen auf dem Plakat gut sichtbar.

Analog zu den Kreisläufen zirkulären Forschens, wie sie beispielsweise in Wadsworth 1998 dargestellt werden, können wir den Forschungsprozess der Frauenfußballgruppe folgendermaßen skizzieren:

Abb. 2: Zirkulärer Forschungsverlauf am Beispiel Sexismus

 

Echo 2008: http://fairplay.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/Fairplay/download/FairPlay- Magazine/FairPlay_SSC_2008.pdf.

Glaser, Barney /Strauss, Anselm (1998): Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung, Bern et al: Verlag Hans Huber

Wadsworth, Yoland (1998): Participatory Action Research, auf: http://www.scu.edu.au/schools/gcm/ar/ari/p-ywadsworth98.html.

 

Forschungstagebuch

von Veronika Wöhrer.

Ideenpool zum Führen eines Forschungstagebuches

Wie in ein „richtiges“ Tagebuch kommen in ein Forschungstagebuch Ideen, Eindrücke, Reflexionen, Kommentare oder Berichte – in diesem Fall in Bezug auf die Feldforschung. Hier haben auch Emotionen
Es können vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten gewählt werden: Es darf geschrieben, gezeichnet, skizziert, eingeklebt, etc.
In der Arbeit mit Schüler_innen bieten sich mehrere Möglichkeiten der Aufgabenstellung an: Neben der klassischen Variante („Schreib auf, was du heute gemacht und erlebt hast“) können auch kleinere und spezifischere Fragestellungen formuliert werden (z.B. „Schreib drei Dinge auf, die heute neu für dich waren!“ oder „Was hat dir heute am besten gefallen?“). Schüler_innen, die nicht gerne schreiben, können Zeichnungen, Skizzen oder Collagen machen, um das Erlebte
Die Einträge ins Forschungstagebuch können in einem späteren Stadium der Forschung gemeinsam angeschaut und bearbeitet werden, um frühere Ideen, Annahmen und Vermutungen zu diskutieren und im Lichte neuerer Erkenntnisse zu betrachten und zu analysieren (s. a.: zirkuläres Forschen). So können eigene Eindrücke über das Forschungsfeld, aber auch Emotionen wie Widerstände, Vorlieben, etc. wissenschaftlich bearbeitet
In der Arbeit mit den Schüler_innen eignet sich das Forschungstagebuch gut dazu, um am Ende einer Forschungseinheit in Einzelarbeiten zu sammeln, was passiert ist. Die Schüler_innen haben dabei Zeit zur Ruhe zu kommen, das Erlebte Revue passieren zu lassen und noch einmal zu überdenken.
Einträge aus dem Forschungstagebuch am nächsten Tag gegenseitig vorzulesen, stellte sich als guter Anknüpfungspunkt für Erzählungen und Reflexionen heraus. Ein weiterer Vorteil ist, dass es Schüler_innen, die zuvor gefehlt hatten, gleichzeitig die Möglichkeit bietet, sich mit den Ereignissen des Vortages bekannt zu
In einem Forschungstagebuch, das von einer gesamten Gruppe geführt wird, können Gruppenergebnisse gesammelt und schrittweise fortgeführt werden: z.B. erarbeitete Fragen, die dann zu einem Fragebogen zusammengestellt werden, erste Codes für Textinterpretationen (s. a.: Beobachtungsanalysen, Interviewanalysen),
Ein gemeinsames Forschungstagebuch als „Gruppenlogbuch“ zu führen, dient am Ende nicht nur der Dokumentation (und eventuellen Präsentation) der Gruppenarbeit, es hilft auch den Prozess der Gruppe sichtbar zu machen und zeigt die unterschiedlichen Stadien der

Inhaltliche Überlegungen und Anwendungsbeispiel

Abb. 1: Eintrag ins Forschungstagebuch

Der Auftakt mit den Schüler_innen

Zu Beginn unseres Forschungsprojektes mit den Schüler_innen brachten wir bunte Notizbücher mit und baten alle, sich eines auszusuchen. Wir erklärten ihnen, dass diese Bücher „Forschungstagebücher“ seien: Wie richtige Tagebücher sind sie für persönliche Aufzeichnungen gedacht, in diesem Fall aber für solche, die mit unserer Forschung zu tun haben. Hier können sie festhalten, was wir gemeinsam gemacht haben, wie es ihnen dabei ergangen ist, was Spaß gemacht hat und was langweilig war. Aufsätze, Notizen, Fragen oder Stichworte können geschrieben, gemalt, eingeklebt, etc. werden. Wie zeigten ihnen, dass auch wir solche Forschungstagebücher haben und baten sie, diese immer zu den Forschungsstunden mitzunehmen.

Das Forschungstagebuch in der wissenschaftlichen Forschung

Ein Forschungstagebuch zu führen ist eine beliebte Methode der empirischen Sozialforschung, um die eigenen Ideen und Bilder, aber auch Emotionen und Befindlichkeiten zu dokumentieren. „Das Tagebuch ist eines der wichtigsten Werkzeuge von forschenden LehrerInnen“ meinen dementsprechend auch Herbert Altrichter und Peter Posch (Altrichter/Posch 1998: 26). Forschungstagebücher sind bei jeder Form der Feldforschung sinnvoll, in der die Besonderheiten eines „Feldes“, d.i. ein bestimmtes soziales Umfeld, in den Blick genommen werden. Ob die Daten mit Hilfe der Beobachtung, von Interviews oder mit mehreren Methoden erhoben werden, ist für die Führung eines Forschungstagebuches irrelevant. Denn in jeder Feldforschung ist der/die Forscher_in mit Unsicherheiten, Vorurteilen – eigenen wie denen des/der Gegenüber(s) – und Phantasien konfrontiert: Wenn einE Forscher_in versucht etwas über Personen, Institutionen, etc. herauszufinden, die ihm/ihr neu sind, ist er/sie am Anfang desorientiert, versteht die anderen nicht (gut), kennt sich noch nicht aus, etc. Zunächst scheint alles fremd und neu. Findet die Forschung hingegen in einer prinzipiell vertrauten Umgebung statt, ist vor allem die Position als Forscher_in das „Neue“, also: die Herangehensweise, der Blickwinkel mit dem ein Feld untersucht wird. Um das Beispiel Schule zu nehmen: Nun geht es nicht mehr darum, eine gute Lehrerin oder eine brave Schülerin zu sein, mich mit meinen Kolleg_innen beispielsweise auf einer solidarischen Ebene auszutauschen, sondern darum meine Umgebung mit neuen Augen zu betrachten, andere in ihrem Alltag zu beobachten, die Regeln und Strukturen zu erkennen. Eine Forschungsfrage im Kopf zu haben bringt eine Art „Verfremdung“ in diesen vertrauten Kontext. Da es in der Feldforschung nicht darum geht, auftretende Bilder und Emotionen zu verschweigen oder zu neutralisieren, sondern darum, diese als wichtige „Daten“ ernst zu nehmen und zu dokumentieren, ist das Forschungstagebuch eine wichtige Forschungsmethode.

 

Vorteile dieser Methode

Die Form des Tagebuchs liegt aus vielen Gründen nahe: Es ist eine bekannte und sinnvolle Form, um Persönliches, wie beispielsweise Emotionen, festzuhalten. Wie im Beispiel oben ersichtlich, gibt es Raum das eigene Interesse zu äußern („Mich interessiert etwas über die Gefühle“), aber auch Ambivalenzen und Unbehagen auszudrücken („Die Mädchen haben mich leider überredet“). Diese Eindrücke und Gefühle festzuhalten kann im weiteren Forschungsprozess sehr hilfreich sein, denn es kann im Nachhinein eigene Vorlieben, Widerstände, etc. sichtbar machen, die in die Analysen einbezogen werden können. Zudem bietet ein Forschungstagebuch Raum für verschiedene Ausdrucksformen: Ich kann schreiben, zeichnen, Notizen machen, Bilder, Fotos oder Texte einkleben, etc. (Siehe Abb. 1, 2 und 3). Tagebücher sind klein und handlich, sie können ohne viel Aufwand mitgenommen und an Ort und Stelle beschrieben werden.

Abb. 2: Eintrag ins Forschungstagebuch

Außerdem ist ein Tagebuch ein Medium, in dem chronologisch über eine längere Zeit hinweg, Einträge gemacht werden können. Dazu bietet es sich an, regelmäßige Einträge zu machen (z.B. nach jeder Forschungseinheit soll ein Eintrag erfolgen), die aber jederzeit mit weiteren, unregelmäßig erfolgenden Einträgen, Notizen, Bildern, etc. ergänzt werden können.

Wir verwendeten unsere Forschungstagebücher immer wieder mit den Schüler_innen gemeinsam und machten die Einträge beispielsweise zum regelmäßigen Abschluss eines Forschungstages in der Projektwoche (Exemplarisches Design). Doch viele Schüler_innen führten sie auch unabhängig von uns weiter, klebten Chatprotokolle oder Fotos ein, zeichneten oder schrieben über Dinge, die ihnen in unseren Stunden aufgefallen waren.

Verwendungsweisen und Analysen von Tagebucheinträgen

In einer späteren Analyse solcher Einträge kann nicht nur eine Art „Chronologie der Ereignisse“ erstellt werden, es zeigt sich auch, wie Veränderungen im Laufe der Feldforschung von statten gegangen sind: Dinge, die mir zunächst neu oder unbekannt waren, die Irritationen oder Unsicherheiten hervorgerufen haben, werden mir mit der Zeit verständlich und vertraut. Änderungen im eigenen Verhalten sowie in den Reaktionen der Anderen werden nachvollziehbar. Das Forschungstagebuch dient also auch dazu, Eindrücke festzuhalten, die mir in späteren Phasen der Forschung gar nicht mehr zugänglich sind.

Forschungstagebücher können auch „Memos“ enthalten, d.h. Notizen und Erinnerungen an wichtige Gespräche, die nicht anders aufgezeichnet werden konnten, an Ereignisse, deren Bedeutung (noch) nicht verstanden wurde, etc. Diese Erinnerungen können auch systematischer in Form eines „Gedächtnisprotokolls“ aufgezeichnet werden, in dem versucht wird, sich an möglichst viel möglichst genau zu erinnern und das wiederzugeben.

Nicht zuletzt ist ein Tagebuch auch immer eine gute Form, um zu rekapitulieren, was an diesem Tag wichtig, neu, interessant gewesen ist (siehe Abb. 2: Rekapitulation der Forschungseinheit oder Abb. 3: „Mir hat der Film sehr gut gefallen“). Es eignet, sich also auch als eine Art „Logbuch“ über die wichtigsten Ereignisse. Diese Form des Forschungstagebuches kann später als Leitfaden durch die gesammelten Daten verwendet werden.

 

Individuell oder kollektiv

In Forschungen mit Schüler_innen kann das Forschungstagebuch einerseits als persönliches Notizbuch für die Forschung verwendet werden, d.h. Schüler_innen einen Ort dafür zu geben, niederzuschreiben, was z.B. heute neu für sie war, was unerwartet oder irritierend war oder auch was ihnen gut oder gar nicht gefallen hat (Abb. 1 und 2). Es kann aber andererseits auch als kollektives Logbuch verwendet werden, beispielsweise um immer am Ende einer Einheit oder eines Tages gemeinsam zu sammeln und zu erinnern, was passiert ist, welche Diskussionen stattgefunden haben, welche Erkenntnisse gemacht wurden, etc. So z.B. Name und Nummer des

„Mädchentelefons“, der aufgeklebte Artikel oder die Worte aus der Internetrecherche in Abb. 3.

Abb. 3: Eintrag in ein kollektives Forschungstagebuch

Neben den oben genannten Punkten und Inhalten haben Einträge ins Forschungstagebuch in der konkreten Arbeit mit Schüler_innen weitere Funktionen, wie Ruhe in turbulente Arbeitssituationen zu bringen, Raum für persönliche Reflexionen zu eröffnen oder gute Anknüpfungspunkte in der Diskussion zu liefern.

Literatur

Altrichter, Herbert & Posch, Peter (1998). Lehrer erforschen ihren Unterricht. Eine Einführung in die Methoden der Aktionsforschung. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

 

Interviews durchführen mit Schüler_innen

von Bernhard Höcher.

Ideenpool zur Auswertung von Interviews

 

  • Das wohl Wichtigste und auch für erfahrene Forscher_innen Schwierigste ist das Entwickeln von „guten Fragen“, also von Fragen die Wissen in die Richtung generieren, die im Projekt jeweils Es können auch unterschiedliche Interessen vorliegen. So schließen Fragen, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sind („Interessieren Sie sich für Politik?“), den Gesprächsverlauf eher ab. Zu direkte Fragen („Bist Du in XY verliebt?“) werden eher ausweichende Antworten erzeugen. Eine Frage, die darauf abzielt eine konkrete Situation zu erzählen, liefert hingegen mehr ‘Daten’ als nach Inhalten oder Regeln zu fragen. Z.B.: „Was hast du gestern Nachmittag gemacht?“ ist diesbezüglich besser als

„Was tust du gerne in der Freizeit?“. „Wie war dein Tag gestern?“ regt zumeist ausgiebigere Erzählungen an als „Wie unterscheidet sich der Tag eines Profifußballers von dem eines anderen?“. Daher sollte für das Entwickeln von

„guten“ Fragen reichlich Zeit sein.

  • Als in unserem Projektverlauf immer wieder dienbar, haben sich Probeinterviews erwiesen. Hiermit können Interviewsituationen (sowie Leitfaden, Aufnahmegerät, etc.) sehr gut geübt werden. Werden sie als Rollenspiel angelegt, so können darüber hinaus vorhandene Annahmen über den möglichen Verlauf eines vorgestellten/ geplanten Interviews (etwa mit einem/einer Fußballer_in) sichtbar und bearbeitbar gemacht
  • Wird ein Forschungsprojekt zum Thema Schule oder Jugendkultur durchgeführt, dann sind bereits alle zu Interviewenden ‘da’, d.h. die Schüler_innen können sich gegenseitig interviewen – hier gibt es meist weniger Scheu, wenngleich sich durch die Vertrautheit andere Schwierigkeiten ergeben können. (vgl. Beobachtung)
  • Spiele, die dazu anregen, Fragen zu stellen, im Kopf Fragen zu formen, etc. sind gute (und offenbar die Hemmschwelle senkende) Einstiege: Wollknäuel von einem zum anderen werfen und überlegen, was man wissen will, etc. Und wiederum: viel Zeit und Geduld sind nötig, denn Fragen stellen lernen ist eine sehr schwierige Übung.
  • Transkribierte Interviewstellen bzw. die Aufnahme selbst gemeinsam zu lesen (oder zu hören) ist meist sehr interessant. Dabei können die wichtigsten Hinweise auf einem Plakat mitgeschrieben

 

Inhaltliche Überlegungen und Beispiele

Das sozialwissenschaftliche Interview geht davon aus, dass sich über das Generieren und Analysieren von Erzählungen etwas über soziale Strukturen eines Feldes oder einer Gesellschaft, der das Interview entstammt, herausfinden lässt. Es gibt nicht „das“ (= eine) sozialwissenschaftliche Interview, es gibt viele Varianten der methodischen Interviewführung, die sich je nach unserer Fragestellung, unseren Interviewpartner_innen, der Situation innerhalb derer wir interviewen, den Antworten die wir (in gewisser Weise) suchen, unterscheiden. Nicht nur die Interviewsituation selbst kann also methodisch verschieden ‘hergestellt’ werden. Sozialwissenschaftliche Interviewformen und ihre jeweilige Auswertung lassen sich auch hinsichtlich ihrer Gewichtung und weiteren Behandlung der erhaltenen Antworten/ Aussage unterscheiden. So wird bei ‘klassischen’ Expert_inneninterviews (als die Untersuchung durch Spezialwissen informierend) beispielsweise davon ausgegangen, dass alles Gesagte (relativ direkt) analysierbar ist. Währenddessen wird in anderen Ansätzen (biographische, narrative Interviews) davon ausgegangen, dass Erzählungen als die dem konkreten Erleben am nächsten kommende Form der Darstellung gelten und also vor allem diese erhoben (und, ebenfalls methodisch geleitet, interpretiert) werden. Hier möchten wir uns aber vorerst auf die Vorbereitung und Durchführung des Interviews konzentrieren. (s. Auswertung) Wenngleich wir Interviews gerade als beliebte Darstellungsform in diversen Medien durchaus kennen, gibt es doch deutliche Unterschiede zu solch bekannten Interviewformen wie z.B: ein Interview in einer Informationssendung oder aber auch einem Verhör bei der Polizei. Bei einem kriminalistischen Interview soll herausgefunden werden, wer beispielsweise der/die ‘Wirtschaftskriminelle’ ist. Sozialwissenschaftlich Interessierte bewerten nicht moralisch, (zumindest versuchen sie ihre Bewertungen mit verschiedenen Techniken sichtbar und damit ebenfalls analysierbar zu machen, etwa via Forschungstagebuch) ja sie können und wollen (wissenschaftlich) nicht entscheiden, ob der/die Interviewte verantwortlich für die Handlung ist, (und ebenso ob er/sie das Gesagte denn auch ‚wirklich’ meint bzw. tut, etc.), aber sie/er kann versuchen herauszufinden (zu rekonstruieren), etwa WIE der/die Interviewte Verantwortung in Zusammenhang mit seiner/ihrer Funktion versteht (wie diese in eine Position eingeschrieben sowie stabilisiert ist und wird) und somit vielleicht sogar WIE Verantwortlichkeit (in dieser Funktion, in einer Partei, einer Firma, etc.) dem/der Sozialwissenschafter_in gegenüber hergestellt, verstanden, verändert und/oder erhalten wird.

Ein sozialwissenschaftliches Interview zu führen bedarf also bestimmter Bedingungen, Vorüberlegungen und Entscheidungen.

Fragestellung

Zuerst braucht es trotz aller Offenheit eine Eingrenzung, es benötigt spezifische Interessen, es braucht eine Fragestellung. Diese muss nicht unbedingt konkret sein, manchmal ist dies sogar eher hinderlich, jedoch sollte sie so eingegrenzt sein, dass wir beginnen können uns zu überlegen/entscheiden, wer überhaupt für ein Interview in Frage kommt und für was wir uns (so ungefähr) diesbezüglich interessieren von dieser Person zu erfahren.

Obgleich dies recht einfach klingt, ist selbst eine ungefähre Eingrenzung gar nicht so leicht. Allerdings können wir uns hierbei gerade eben durch das Interview behelfen. Etwa hat uns in einer Gruppe die anstehende Berufswahl interessiert. Auf der Suche nach möglichen Expert_innen, die sich professionell damit beschäftigen, kamen wir rasch auf das Arbeitsmarktservice, welches sogar über eigene Jugendberatungszentren verfügt. Das Arbeitsmarktservice war den meisten Jugendlichen ein Begriff und so fiel es ihnen nicht schwer, Fragen für ein Interview zu sammeln. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, sich eine konkrete Berufsoption auszusuchen und Personen zu interviewen, die diesen Beruf ausüben. Der Beruf „Lehrer_in“ erweckte bei manchen Schüler_innen Interesse, die Interviewpartner_innen wären hier auch schnell zur Hand gewesen, die Entscheidung fiel schließlich aber für einen offeneren Zugang zum Berufsthema, der mehr Anknüpfungspunkte bot.

Interviewpartner_innen finden/ Kontakt herstellen

Im Vorfeld haben wir für die Berufe-Gruppe mit einer Mitarbeiterin des AMS Kontakt aufgenommen und sie für die Schüler_innen um einen Termin zur Beratung im AMS/BIZ sowie ein kurzes Interview mit ihr gebeten (Telefonnummern, Adressen und Ansprechpartner_innen sind via Internet bei Institutionen dieser Art relativ leicht zu finden).

Oft ist der Vorgang des ‚Kontakte knüpfens’ aber weit komplizierter und zugleich auch eiliger. Haben wir Glück und erwischen wir die Person gerade in einer entspannten Situation oder ist sie gerade selbst in Eile? Können wir in kurzen Sätzen der Person unsere Anliegen sinnhaft verständlich machen, sie möglicherweise sogar dafür interessieren? Denn immerhin entsteht für sie ein deutlicher Mehraufwand, denn wir möchten, dass sie sich 30 Minuten bis eine Stunde Zeit nimmt, für etwas von dem sie im Moment (zumindest in der Kürze eines Telefonats) vermutlich kaum etwas wirklich nachvollziehen kann. Zudem kennt sie uns nicht und wenn wir besonderes Pech haben bzw. uns für eine Person von öffentlichem (heißt oft medialem) Interesse interessieren, bekommt sie in der Woche unzählige solcher oder ähnlicher Anrufe und reagiert wegen der für sie immer gleich wirkenden Anfragen (für uns ist es ja das erste Mal) unter Umständen genervt.

Für die meisten der von uns geführten Interviews haben wir die Organisation übernommen. Dies ist jedoch nicht unbedingt notwendig, da sich herausstellte, dass immer wieder einzelne Jugendliche gern die Organisation übernehmen. So hatten die Mädchen in der von ihnen selbst gegründeten Subgruppe „Frauenfußball“ die Interviewpartnerin Zehra Demir recherchiert, nachdem sie im Magazin „Fair Play“ ein Interview mit ihr gelesen hatten. Jedenfalls ist die Recherche und die Organisation von Kontakten bereits Teil der Forschung selbst und kann von Schüler_innen, Lehrer_innen und Forscher_innen gemeinsam überlegt und durchgeführt werden.

Zeit/ Raum

Die Spielerin war sehr freundlich und interessiert und willigte zur Freude aller in ein Interview ein. Nun galt es einen Ort für das Interview zu finden. Dazu ist zu berücksichtigen, dass ein solcher Ort eine möglichst gute und entspannte Gesprächsatmosphäre fördern soll, da es eben nicht um 5 Minuten sondern meist eher um eine Stunde Interview geht. Daher sollten Bedürfnisse, wie etwa Hunger und Durst möglichst ohne Aufwand und Irritation des Gesprächs zu stillen sein. Ein Kaffeehaus? Jein, immerhin ist es dort oft recht laut (zumindest ist dies für uns nur begrenzt kontrollierbar), zeitweise etwa auch recht verraucht, was dem/der GesprächspartnerIn vielleicht widerstrebt. Zudem, wenn es rundherum laut ist, sind Gespräche nur schwierig zu führen und aufzunehmen. Unerwartete Geräusche lenken ab, machen das Verständnis schwer und das Gespräch zunehmend mühsam. Das eigene Büro? Nun, das kann eine Möglichkeit sein, aber manchmal ist das Büro für die zu interviewende Person denkbar umständlich und zeitaufwendig zu erreichen, was ihre Motivation deutlich dämpfen kann. Zudem kann ein weiterer Effekt sein, dass sich die Person dort sehr unwohl fühlt, da sie nicht nur plötzlich mit unbekannten Leuten konfrontiert ist, die einen vielleicht auch noch eher seltsame Dinge fragen, sondern der ganze Ort fremd erscheint. Bei ihr zuhause? Das ist wiederum eine Schwierigkeit, da wir voraussetzen müssen, dass die Person keine Vorstellung, oder wenigstens nur eine sehr beschränkte, von dem/der ForscherIn hat, da sie bislang nur mit dem/der ForscherIn telefoniert hat.

Dass die zu Interviewende daher ihre privaten Räume einer/mehreren ihr fremden Personen öffnet ist zu Beginn eher unwahrscheinlich und bedarf einiger Vorarbeit und Vertrauensarbeit. Allerdings lohnt diese Mühe, denn die Privaträume einer Person sind soziologisch besonders interessant, da durch den Besuch (und entsprechende Beobachtung und Protokollierung) ein weiterer Eindruck vom ‚Forschungsfeld’ gewonnen werden kann. Zudem ist anzunehmen, dass sich die Person, so sie uns freiwillig zu sich einlädt, daheim vermutlich wohler und eben ‚zuhause’ fühlen kann, als anderswo. Als Faustregel gilt es sich solche Dinge VOR der ersten Kontaktaufnahme möglichst im Sinne des/der zu Interviewenden zu überlegen, die eigenen Ressourcen und Möglichkeiten diesbezüglich auszuloten um Flexibilität zu gewährleisten und dass letztlich die Wünsche der/des zu Interviewenden vorgehen und zu respektieren sind. Ähnliches gilt für die Terminfindung.

Flüchtigkeit – was ist vorort bei einem Interview zu beachten?

Sind Zeit und Ort für ein Interview gefunden bedarf es gewisser Vorbereitungen im nun eigentlichen Sinne der Datengenerierung. Es gäbe viel zu Abläufen von Gesprächen zu erzählen, aber um es kurz zu halten:

Gespräche sind flüchtig und mehrdeutig. Endet ein Gespräch so hinterlässt es – abseits der beteiligten Personen – nur wenige Spuren, die darauf hinweisen, dass ein Gespräch überhaupt stattgefunden haben könnte und noch weniger bleibt von dem was gesprochen wurde. Da zudem in Gesprächen sehr viel (gleichzeitig) transportiert/kommuniziert wird, es sich um einen, wie auch immer konkret gelagerten, Dialog bzw. eine Beziehung dabei handelt, der die/den Gesprächspartner_innen bis zu einem gewissen Grad in das Gespräch zwingt, um das Gespräch in und durch (ein Mindestmaß an – wir kommen später darauf zurück) Wechselseitigkeit als solches aufrecht zu erhalten, bleibt relativ wenig Zeit dafür sich das auch alles zu merken, Überlegungen zum Gesagten anzustellen, weiterführende Fragen zu formulieren, usf.

Dies liegt aber auch daran, dass in Gesprächen oft sehr viele Verweise, die sich auf Situationen, Wissensbestände, Personen, die nicht in dieser konkreten Situation physisch anwesend sind, gesetzt, Sätze nicht vollendet oder gemurmelt werden, usw. Noch tückischer ist, dass wir oft meinen verstanden zu haben worum es der Person geht und erst im Nachhinein erkennen müssen (und wie wir gleich sehen werden: können), dass sie etwas ganz anderes gemeint hat. Um Sinn herzustellen beziehen wir das Gesagte auf uns bekannte und damit assoziierbare Wissensbestände, wir deuten das Gesagte und nicht zuletzt, aber nicht zu unterschätzen, kommt es in Alltagsgesprächen auf Dauer nicht gut, wenn wir nach jedem zweiten Satz die Person bitten diesen noch einmal zu wiederholen und/oder genauer zu erklären. Auch Gespräche unterliegen bestimmten Regeln, benötigen eine gewisse Dynamik so sie aufrechterhalten, in Schwung gehalten werden wollen. Zudem, eben angemerkt, deuten wir das Gesagte auch vor dem Hintergrund etwa der Institution, Firma, usf. für die eine Person spricht, ebenso wie ihr Auftreten, Dialektfärbungen, Körpersprache, usw., und setzen all dies in Beziehung zu dem Gesagten, um Sinn auszulegen. Paradox gesagt – nichts spricht tatsächlich allein für sich. Und es gibt noch einen anderen wichtigen Grund, weshalb es der Fixierung wie auch der guten Vorbereitung bedarf. Keine dieser Situationen ist in ihrer Besonderheit und Komplexität wiederholbar.

 

Aufnahme/ Technik (Fixierung) – Audio, Visuell, Notizen

Um die Schwierigkeiten der Flüchtigkeit in den Griff zu bekommen, bedienen sich Sozialwissenschafter_innen heutzutage gern des Ton-Aufnahmegerätes (zeitweilig auch, aber noch deutlich seltener, der Videokamera), um die Gesprächssituation ‘festzuhalten’. Dieses festgehaltene Tondokument kann nun in Daten übergeführt/übersetzt werden, etwa durch Transkription (=Verschriftlichung). Der Vorteil dabei ist, dass wir uns nun jederzeit und unter Ausschaltung vieler Zwänge und Einflüsse, die die Interviewsituation selbst bedingt, dem Gesagten, den Argumentationen, den Verweisen, den herstellten Sinnzusammenhängen und vollzogenen Deutungen von Verhalten oder Ereignissen, etc. zuwenden können. In aller Langsamkeit und Tiefe, die eine solche (nach Analysemethode unterschiedlich) Auseinandersetzung bedarf. Dieses analytische Vorgehen, seine Langsamkeit und Tiefe werden auch dadurch begünstigt, dass die (Über-)Fülle der Realität nun zunehmend übersetzt (viele qualitative Verfahren bemühen sich via Protokollen, Notizen, höchst genaue Transkription von Dialekten, „Ähs“ und Pausen, etc. diese Komplexität möglichst zu erhalten) oder aber auch teils reduziert wird – Gesten werden vielleicht vermerkt, aber auf die schriftliche Ebene abgeflacht (gleiches können wir für Gefühle, Gerüche, usw. vermerken), ebenso wie das Gesagte, ein Räuspern, möglicherweise wird auch Dialekt in Hochsprache umgeschrieben, etc. Diese Umschreibungen, Reduktionen sind allerdings höchst problematisch und wissenschaftlich-methodisch viel diskutiert. Oft hängt die Methode der Wahl weniger von der Frage nach der jeweiligen wissenschaftlichen Güte ab, als von Ressourcen, Möglichkeiten und den Zielsetzungen der Analyse, d.h. die Komplexität des Transkripts und die entsprechende Analysemethode müssen zusammenpassen.

Eine sozusagen günstigere Variante – die durchaus ihre denkbaren Nachteile hat, aber im Gegenzug möglicherweise gerade für Übungszwecke geeignet scheint – ist die Interviews als Tondokumente zu belassen und diese sich schrittweise gemeinsam anzuhören sowie wichtig erscheinende Themen, Fragen, Aussagen währenddessen niederzuschreiben. (Nicht zu unterschätzen ist übrigens auch das Befremden (und die nötige Gewöhnung daran), wenn wir unsere eigene Stimme zum ersten Mal aufgenommen hören.) (s. Auswertung)

Der Einsatz des Aufnahmegerätes ist es übrigens auch, der umso mehr einen Ort mit möglichst wenigen Umgebungsgeräuschen verlangt (sowie eine Beschäftigung mit den technischen Eigenschaften des Gerätes), wollen wir doch möglichst gute (deutlich/eindeutig verstehbare) Daten produzieren, mit denen wir anschließend weiterarbeiten können. Allerdings ist dieser Einsatz von Aufnahmegeräten stets mit gewissen Veränderungen der Gesprächssituation selbst verbunden und damit von Form und Art der generierten Daten nicht und an keiner Stelle des Prozesses zu trennen.

Zusätzlich zur Aufnahme des Gesprächs sollte jedenfalls stets ein sogenanntes Memo verfasst werden, das vor allem versucht die diversen spontanen und assoziativen Ideen, Annahmen, Eindrücke, Gefühle, Empfindungen, Einschätzungen und Bewertungen, die dem/der Forscher_in etwa beim Eintreten in die Wohnung, das Haus, oder auch bei der Begrüßung der Person, etc. bewusst geworden sind. Ebenfalls vermerkt werden sollte die Kontaktaufnahme sowie eine zusammenfassende Beschreibung der gesamten Interviewsituation sowie der Umgebung in der sie stattfand. Ein Memo bedarf weder der ‘Sortenreinheit’ (wie etwa ein Protokoll) noch sonderlicher Strukturierung. Wichtig ist aber die jeweilige Datierung eines Eintrags (siehe hierzu auch

das Forschungstagebuch).

Zuletzt noch eine Anmerkung zu den gesammelten Daten und unserer Verantwortung gegenüber jenen Personen, die uns ihr Vertrauen ausgesprochen haben, indem sie mit uns in Anwesenheit eines Aufnahmegerätes sprechen. Wir alle kennen mittlerweile Youtube und ähnliche Verbreitungsplattformen von AV-Daten und wie einfach etwas im Internet in Umlauf gebracht werden kann. Jedoch wissen wir auch wie schwierig bis unmöglich es ist, diese Verbreitung wieder zu stoppen. Insofern (und aus einigen anderen forschungsethischen Gründen) müssen wir darauf achten, dass die Daten UND ihre Quelle ausschließlich uns zur Verfügung stehen, dass sie also auf PCs und Datenträgern unter Verschluss gehalten bzw. die Namen getrennt davon gespeichert werden (Interviews können beispielsweise durch Nummerncodes gekennzeichnet werden). Bei der Veröffentlichung der Ergebnisse muss darauf geachtet werden, dass keine Rückschlüsse von in einem Text zitierten Aussagen, auf die Person, die diese Aussage machte, möglich sind.

Leitfaden und Fragen stellen

Wie das Aufnahmegerät soll der Leitfaden letztlich nur Hilfsmittel sein, und darüber hinaus möglichst wenig Aufmerksamkeit erregen.

Wir haben im dritten Semester die Schüler_innen angeregt selbst Fragen für einen Leitfaden zu formulieren. Mittels eines Spiels, bei dem ein Wollknäuel von einer Person zur nächsten geworfen wird, jeweils begleitet von dem Aussprechen einer Frage, die ihn/sie das Thema/ den Ort, etc. betreffend interessiert. Währenddessen habe ich die Fragen mitgeschrieben und anschließend haben wir diese gemeinsam reformuliert, geschärft, sortiert und in eine Abfolge gebracht, die uns für unsere Zwecke sinnvoll erschien.

Mit der Gruppe Leitfäden zu entwickeln hat einen großen Vorteil: Es kann im Trockentraining geübt/nachgedacht werden, bevor die zu interviewende Person getroffen wird. Auch die Schüler_innen, die dann vielleicht aufgrund von Schüchternheit selbst nicht interviewen möchten, können am Leitfaden mitentwickeln. Außerdem hilft uns der Leitfaden, wenn wir aufgrund plötzlicher Nervosität nicht recht ‘den Mund aufbekommen’ (was passieren kann, wenn keine Fragen vorneweg verschriftlicht werden – siehe Interview mit dem Profispieler). Der Nachteil ist, dass die Schüler_innen möglicherweise am Leitfaden „kleben“ bleiben, die Fragen runterlesen und sich keine Gespräche entwickeln. Hier wäre es vielleicht ratsam, zu Beginn darüber zu sprechen, welche Fragen überhaupt Gespräche anregen.

Literatur

Becker, Howard S. (1998). Tricks of the Trade: How to Think about Your Research While You’re Doing It. Chicago and London: The University of Chicago Press.

Bohnsack, Ralf/ Marotzki, Winfried/ Meuser, Michael (Hg.) (2003). Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung. Ein Wörterbuch. Opladen: Leske + Budrich.

Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst & Steinke, Ines (Hg.) (2009). Qualitative Forschung: Ein Handbuch. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

Schäfers, Bernhard/ Kopp, Johannes (Hg.) (2006). Grundbegriffe der Soziologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

 

Interviews auswerten mit Schüler_innen: “Stop&Go”

 von Doris Harrasser.

Ideenpool zur Auswertung von Interviews

 

  • Benötigt werden folgende Materialien: Eine Möglichkeit die Aufnahme des Interviews über Lautsprecher abzuhören (z.B. über den Computer mit Maus oder eine Stereoanlage mit Fernbedienung). Einige große Bögen Papier (z.B. Flip Chart) und Eventuell Forschungstagebücher oder Notizzettel.
  • Die Gruppenmitglieder hören sich die Aufnahme gemeinsam Hat jemand eine Frage oder möchte sie/er über einen Gesprächsausschnitt sprechen wird „STOP“ gerufen.
  • Eine Person bedient die Technik und spielt Interviewsequenzen ab „GO“, hält sie mittels der Pause Taste an „STOP“.
  • Nun erfolgt eine Diskussion über die eben gehörte Interviewsequenz. Worüber wird gesprochen – was ist das Thema? Welche Meinung vertritt der Interviewpartner oder die Interviewpartnerin (hier gibt es wahrscheinlich schon verschiedene Interpretationen der Gruppenmitglieder)? Welche Bedeutungen könnten die Aussagen haben? Welche Fragen stellen sich?
  • Bei dieser Diskussion sind alle Gedanken erlaubt. Je unterschiedlicher sie sind, also je mehr Lesarten über eine Gesprächssituation entwickelt werden desto besser. Die Aussagen der Gruppenmitglieder werden nicht bewertet, sie können einfach neben einander stehen bleiben. Am besten werden alle auftauchenden Ideen
  • Die Ergebnisse der Diskussion werden auf dem Plakat oder im Forschungstagebuch schriftlich
  • Es ist nicht notwendig das ganze Interview auf einmal anzuhören, einzelne Sequenzen (= kleine Einheiten, B. nur ein Satz) oder Passagen (= längere Einheiten) sind ausreichend – je nachdem, wie genau der Inhalt diskutiert und analysiert wird.
  • Idealer Weise gibt es mehrere Interviews zu einem bestimmten Thema. All diese Interviews (oder Ausschnitte daraus) werden wie oben beschrieben mit den Schüler_innen Durch den Vergleich der Aussagen können soziale Muster eines Forschungsfeldes oder gesellschaftliche Zusammenhänge herausgearbeitet, Thesen aufgestellt und neue Fragen aufgeworfen werden.
Inhaltliche Überlegungen und Anwendungsbeispiel

 Wenn Sozialwissenschafter_innen mit Interviews arbeiten, gehen sie davon aus, dass sich durch das Generieren und Analysieren von Erzählungen etwas über soziale Strukturen eines Forschungsfeldes herausfinden lässt. Bei der Auswertung von Interviews geht es darum, die Sichtweisen der befragten Personen zu erfassen, diese mit den Aussagen anderer Expert_innen zu vergleichen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf ihre Aussagen heraus zu arbeiten. In diesem Text soll dargestellt werden, wie im Rahmen des Schulforschungsprojekts Tricks of the Trade mit Schüler_innen Interviews analysiert wurden.

 

Auswertung von Interviews zum Thema Fußball

 Im Rahmen der Projektwoche im Dezember 2009 formierte sich eine Forschungsgruppe, die sich mit dem Thema Fußball auseinander setzen wollte. Neben Felderkundungen und Beobachtungen im Horr Stadion des Vereins Austria Wien, Internetrecherchen und der Arbeit mit Printmedien führten die Schüler_innen mit uns Wissenschafter_innen gemeinsam Interviews mit Expert_innen aus der Welt des Fußballs, mit einem Spieler der Austria Wien, einer Spielerin des ASV Spratzern, mit Fans des Austria und Rapid Fanclubs und mit einem (Fußball)Forscher der Universität Wien.

Zur Produktion der Interviewdaten:

Vor dem Treffen mit diesen Exper_innen überlegten wir gemeinsam, was uns speziell an ihrer Sichtweise auf das Thema Fußball interessiert und welche Fragen wir dazu stellen könnten. Daraus entstanden Leitfäden, an denen wir uns im Rahmen der Interviews orientieren konnten. Die Fußballerin wollten wir zum Beispiel fragen, wie sie Fußballerin geworden ist, in welchem Verein sie spielt, welches Ziel sie im Fußball hat, welche Gefühle sie mit Fußball verbindet und warum im Fernsehen oder in der Zeitung fast nicht über Frauenfußball berichtet wird. Die Fragestellungen stellten eine Hilfe dar, um den Gesprächsverlauf steuern zu können. Es war aber nicht zwingend alle Fragen zu stellen. Es war sogar besonders interessant, wenn die Interviewpartner_innen selbst in einen Erzählfluss kamen und über ihre Erfahrungen in der Welt des Fußballs berichteten. Wir reagierten darauf mit weiteren (Nach-)Fragen zu diesen Erzählungen (die nicht unbedingt geplant waren). So erhielten wir weit mehr Informationen als wir es im Vorfeld planen hätten können.

Mit welcher Form von Daten wurde gearbeitet?

Die Interviews wurden mit einem digitalen Aufnahmegerät aufgezeichnet, um der Flüchtigkeit der Gespräche entgegen zu wirken. Häufig werden Interviews in der Soziologie in ein Transkript übergeführt, bevor sie in Form einer Textanalyse analysiert bzw. interpretiert werden. Die Tonbandaufnahme wird dafür abgehört und verschriftlicht. Die Schüler_innen in unserem Projekt waren jedoch nicht daran interessiert Transkripte der Interviews anzufertigen (was zu verstehen ist, da dies eine sehr zeitaufwendige Aufgabe ist), sondern sie wollten die Interviews lieber gemeinsam anhören, wichtig erscheinende Themen, Fragen, Aussagen währenddessen nieder schreiben und sich Gedanken dazu machen – sie also interpretieren bzw. analysieren. Interviewaufnahmen nicht zu transkribieren, sondern nur mit den Audioaufnahmen zu arbeiten ist zwar in den Sozialwissenschaften nicht unbedingt die Regel (in manchen Interpretationsverfahren ist die Verfremdung des Transkripts sogar ein wichtiger Faktor; manchmal werden Kombinationen aus Analysen von Transkripten und Nachhören angewandt), für die Interviewanalyse mit den Schüler_innen stellte dies allerdings eine sehr produktive und vor alle lustvolle Form dar sich mit den Interviewdaten auseinander zu setzen. Die Arbeitspraxis in unserer Forschungsgruppe kann folgender Maßen dargestellt werden:

Auswertung der Interviews:

Wir versammelten uns um einen Computer mit Lautsprechern, auf den zuvor die digitale Aufnahme des Interviews gespeichert worden war und begannen das Interview schrittweise zu interpretieren. Eine Person übernahm es, die STOP und GO Taste zum Abspielen der Aufnahme zu bedienen. Eine weitere Person machte auf einem großen Plakat Notizen dazu. Wir begannen nun, die Aufnahme des Interviews abzuspielen und immer dann, wenn jemand aus der Gruppe Nachfragen oder Gedanken dazu äußern wollte rief sie oder er „STOP“. Darauf hin widmeten wir uns der Frage, beziehungsweise den verbalisierten Gedanken und Ideen (sogenannte Assoziationen). Daraus entwickelte sich oftmals eine Diskussion in der unterschiedliche Lesarten der Interviewaussagen entwickelt wurden. Wurde ein Thema oder eine Sequenz ausreichend besprochen, schrieben wir die besprochenen Inhalte, Interpretationen und die gegebenenfalls entwickelte Thesen auf dem Plakat oder im Forschungstagebuch nieder – so wurden die

Abb. 1: Interview
Abb. 2: Interview

War ein Interviewausschnitt ausreichend diskutiert worden, hörten wir uns eine weitere Sequenz des Gesprächs an -> “Go“ – so lange bis wieder ein Gruppenmitglied „STOP“ rief.

Jedes Interview kann in mehrere Gesprächsabschnitte unterteilt werden, die in der Folge schrittweise interpretiert werden. Unter Interpretation wird hierbei das Herstellen von Sinnzusammenhängen verstanden. Bei dieser Form der interpretativen Analyse geht darum, zu verstehen, welche Bedeutung zum Beispiel die Mitgliedschaft bei einem Fanclub für eine Person hat. Ziel ist es, die Aussagen der Interviewpartner_innen in ihrer Komplexität zu verstehen. Im Rahmen dieser Interpretationen werden Thesen (Aussagen) über das soziale Umfeld der interviewten Person oder das interessierende Forschungsfeld bzw. zur Interviewsituation formuliert. Eine These könnte sich beispielsweise darauf beziehen, wie die Aussagen eines Fußballfans mit seinem Geschlecht und/oder seiner sozialen Herkunft in Beziehung steht. Im Vergleich mit anderen Interviewpassagen können diese zu sogenannten „Mustern“ verdichtet werden. Am Beginn eines

Forschungsprojekts wird sehr offen, assoziativ mit dem Interviewmaterial umgegangen, um möglichst verschiedenste Aspekte (im hier vorgestellten Fall in Bezug auf das Thema Fußball) und Zusammenhänge zu erfassen und sich davon ausgehend interessanten Themen und konkreteren Forschungsfragen zu zuwenden. Die Auseinandersetzung mit den Interviews mit dem Profifußballer Emin Sulimani und den Fußballfans wurden zum Beispiel folgende, interessante Fragen und erste Thesen formuliert:

 

Ergebnisse der Analyse des Spielerinterviews:

Wie kann man in Österreich Profifußballer werden?

These: Ein wesentlicher Faktor ist die Förderung der Familie von Kindheit an.

 

Welche Rolle spielen die Fans für einen Fußballspieler?

These: Ohne Fans gäbe es kein Fußball

 

Welche Erfahrungen machen ausländische Fußballspieler_innen in Österreich?

These: Profifußballer zu werden ist eine Möglichkeit für sozialen Aufstieg.

 

Für die Fußballkarriere macht es keinen Unterschied ob man In- oder Ausländer ist – es zählt die Leistung.

 

Ergebnisse aus der Analyse des Faninterviews:

Welche Bedeutung haben Emotionen im Fußball?

These: Ein Fan zu sein bedeutet, sehr stark emotional an den Lieblingsclub gebunden zu sein. Dabei spielen sowohl positive, als auch negative Gefühle eine Rolle. Wie zum Beispiel Liebe zum Fußball oder Hass zwischen den Fangruppen.

 

Neben diesen ersten Ergebnissen, die direkt aus den Aussagen der Interviewpartner abgeleitet wurden, entwickelte sich eine Diskussion in der es um die Frage ging, welcher Fußballverein denn am meisten Wert ist. Innerhalb unserer Forschungsgruppe gab es unterschiedliche Ideen womit dies zusammen hängen könnte. Diese Ideen wurden in Form des folgenden Plakats nieder geschrieben:

Abb. 3: Interview

 

Transkript des Plakats:

 

Welcher Verein hat mehr Wert?

  • der am meisten Geld hat
  • wer die besseren Spieler hat
  • mehr Geld – besseres
  • Wieso haben manche Vereine mehr Geld?
  • Größeres Stadium
  • lange Tradition – mehr Erfahrung

Nach dieser Diskussion wurde folgende These und eine weiterführende Frage formuliert:

These: Geld spielt eine zentrale Rolle dahingehend, wie erfolgreich Vereine sind.

Frage: Woher bekommen die Vereine ihr Geld?

Es ist nicht unbedingt notwendig gleich zu Beginn der Forschungsarbeit ein ganzes Interview anzuhören und zu analysieren. Es geht vielmehr darum, einen Einblick in die Materie zu erlangen und Ideen darüber zu entwickeln auf welchen Aspekt (z.B. in der Welt des Fußballs) in weiteren Forschungsschritten fokussiert werden kann. In unserem Projekt entwickelten sich aus diesen ersten Interviewanalysen zum Beispiel Themenfelder, die wir die restlichte Projektwoche über weiter bearbeiteten. Die Themen Fußball und Geld, Migration und Fußball und Vereinskultur wurden zum Beispiel von den Schüler_innen weiter verfolgt.

Im Laufe der Projektwoche wurden zwei weitere Interviews geführt. Eines mit einer Fußballerin und eines mit einem Wissenschafter der Universität Wien, der zum Thema Fußball forschte. Da sich die Analyse per Audioaufnahme schon gut bewährt hatte, wiederholten wir dieses Prozedere noch einmal. Interessant war, dass die Schüler_innen einerseits Aufgaben, wie das Mitschreiben (Dokumentieren) der Ergebnisse nun gleich selbst übernahmen, aber auch Querverbindungen zu den Interviews herstellten, die wir bereits am Beginn der Projektwoche analysiert hatten. Sie stellten Vergleiche zwischen den Aussagen der verschiedenen Interviewpartner_innen an, zum Beispiel in Bezug auf das Thema Ausländerfeindlichkeit im Fußball. Die Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden von Aussagen in Bezug auf ein bestimmtes Thema, ist ein wesentlicher Analyseschritt in der Auswertung von Interviews. Die bislang formulierten Thesen werden dadurch auf ihre Verallgemeinerbarkeit hin überprüft. Bestätigen sich die Thesen immer wieder, werden sie beibehalten, ist dies nicht der Fall werden sie verworfen. Wichtig ist zu verstehen, dass es bei interpretativen Analysen nicht darum geht, repräsentative Ergebnisse zu produzieren wie es im Rahmen quantitativer Analysen oft der Fall ist, vielmehr geht es darum anhand von fallspezifischen Interpretationen, gesellschaftliche Muster in ihrer Komplexität zu verstehen und zu beschreiben.

Bei der Auswertung von Interviews mit Schüler_innen geht es nicht darum, einen sozialwissenschaftlichen Analyseprozess bis zur letzten Konsequenz durchzuführen (dafür ist ohnehin meist nicht genug Zeit vorhanden), sondern es geht darum, einen Einblick in die Komplexität und Konstruktionsprozesse sozialer Wirklichkeit zu erlangen. Ziele sind dabei Einblicke in soziale Felder (wie z.B. Fußball) zu erlangen, mit interessanten Menschen zu sprechen, über ihre Aussagen nachzudenken und gemeinsam darüber zu diskutieren. Ein interpretativer Analyseprozess ermöglicht die Einnahme einer reflektierenden Haltung gegenüber sozialen Phänomenen ohne diese, wie es im Alltag oft üblich ist, zu bewerten.

 

Literatur

Bohnsack, Ralf, Marotzki, Winfried & Meuser, Michael (Hg.), 2003: Hauptbegriffe Qualitativer Sozialforschung. Ein Wörterbuch. Opladen: Leske + Budrich.

Froschauer, Ulrike & Lueger, Manfred, 1992: Das qualitative Interview zur Analyse sozialer Systeme. Wien: WUV-Universitätsverlag.

 

Mit-Zeichnen.

Der Zeichenstift als methodisches Werkzeug

von Karin Schneider.

Mit dem Zeichenstift lässt sich viel anstellen: Es ist manches mal leichter zuzuhören, wenn nebenbei das Gehörte/etwas niedergekritzelt werden darf; es können Dinge durch Zeichen, Pfeile, Diagramme veranschaulicht und verrätselt gleichzeitig werden, es können Gedanken Gestalt bekommen etc. Das Zeichnen als Alltagspraxis kann als Kommunikationsmedium benutzt werden, wenn das Sprechen oder Schreiben weniger geeignet scheinen. Wichtig dabei ist, dass es ganz neben bei passiert und wir alle die Scheu vor dieser Kulturtechnik verlieren.

  • Der Stift und das Blatt Papier sind ständige, unaufgeregte Begleiter von Diskussionssituationen.
  • Die Visualisierungen können auf großen Plakaten stattfinden, besser aber noch auf kleinen Skizzenblätter oder Notizbüchlein oder im Forschungstagebuch. Die Skizzen erzählen dadurch noch stärker: „Wir sind Notizen, Gedanken, Figuren bereit zur Veränderung, individuelle Ausschnitte eines Prozesses; wir helfen beim Denken und wir belehren dich “
  • Das Zeichnen als Methode kann zu einem Hin und Her zwischen den unterschiedlichen Teammitgliedern entwickelt werden: „Du sagst was, ich zeichne es, du sagst mir ob es so zu sehen ist; du denkst was und zeichnest, ich interpretiere“,
  • Als „Lockerungsübung“ – falls jemand Angst davor hat mit dem Stift was anderes zu tun als zu schreiben oder darauf zu kauen – kann auf alte Gesellschaftsspiele wie das Figurenzeichnen zurückgreifen (Jemand beginnt damit einen Kopf am oberen Rand des Blattes zu zeichnen,faltet diesen Teil des Blattes um und gibt es Der nächste zeichnet nun den Oberkörper etc.) oder es kann mit dem Übersetzen von Sätzen in eine Zeichnung und/oder umgekehrt begonnen werden.
  • Zeichnen kann immer dann angewandt werden, wenn die Befürchtung besteht, dass Schreiben nicht funktioniert oder dass sprachliche Barrieren So wäre gar nichts dagegen einzuwenden, wenn Protokolle von Beobachtungen oder Transkripte von Interviews in Form von Zeichnungen gemacht werden; dabei ist die Rätselhaftigkeit der kleinen Skizzen oft ein brauchbares Vehikel, um hier beschriebene Alltagssituationen für die Interpretation zu öffnen, zu „verrätseln“.
  • Wenn Jugendliche oder Forscher_innen ihre Protokolle oder Thesen in Form von Zeichnungen dokumentieren, bedeutet das für die folgende Interpretations- Situation, dass die Zeichnungen zunächst gedeutet werden müssen. Dadurch können sehr klar erscheinende Sachverhalte und Thesen wieder aufgemacht werden, wodurch sich neue Sichtweisen eröffnen können.
  • Keine Angst vor Klischees! Im schnellen Mitzeichnen und mit dem Wunsch das Gegenüber möge meine Zeichensprache schnell verstehen, gibt es kaum eine andere Möglichkeit als Klischees zu verwenden: Mädchen haben immer lange Haare, die Liebe ein Herz, etc. Klischees werden so aber auch sichtbar und können, wenn der Forschungsprozess es verlangt/zulässt, aufgelöst

Im folgenden Text werde ich versuchen, Erfahrungen mit der Praxis des schnellen, kommunikativen Mitzeichnens aus meiner eigenen Forschungsgruppe “Liebesorte in der Schule” (Teilnehmerinnen waren Mavi, Asly und Susanne) zu verallgemeinern. In meiner Forschungspraxis in dieser Gruppe wurde der Zeichenstift und ein Blatt Papier immer mehr zum ständigen Begleiter von mir und später auch von den teilnehmenden Mädchen. Kaum erzählten mir die Jugendlichen etwas zum Forschungsthema, schon begann ich zu skizzieren, manches mal Comic-artig, manches mal mit schnell hingekritzelten Symbolen oder Diagrammen. Diese Praxis wurde von den Schülerinnen bald übernommen. Zwei Protokollstellen veranschaulichen dies. Die erste Protokollstelle gibt eine Sequenz unseres Projekttages wieder. Einen Tag zuvor führte ich mit den beiden Mädchen eine Pausenbeobachtung durch, von der sie ein Beobachtungsprotokoll anfertigten. In diesem kommt die Bemerkung vor, dass ein Mädchen von den anderen gehasst wird. Da dieser Hass zu dem Mädchen uns in vielen Einheiten beschäftigt hat, schweifen wir an der folgenden Sequenz vom konkreten Protokoll (und der ursprünglichen Fragestellung “Liebesorte”) ab und wenden uns den allgemeinen Beziehungsverflechtungen zwischen den Mädchen zu. Das Zeichnen dient mir hier als Visualisierungstechnik von für mich schwer zu durchschauenden Strukturen:

Wir lesen nochmal das Protokoll durch und bleiben wieder bei dem Hass auf Susanne hängen, der in den letzten Einheiten viel Thema war; (…) und es stellt sich mir die Frage warum das so wichtig ist, und überhaupt wie Mädchen miteinander zusammen hängen.

Daher zeichnen wir ein Beziehungsgeflecht; ich will einfach auch verstehen wie sich die Freundschaften und Feindschaften zwischen Herbst und Jetzt (Frühjahr 09) entwickelt haben, es ist klar, dass es zu größeren Ausdifferenzierungen kommt; Mavi betont, dass es auch so etwas gibt wie Bekanntschaften. Ich zeichne Kreise für jedes Mädchen, das für sie wichtig ist und dann machen wir Verbindungslinien zwischen den einzelnen Mädchen/Kreisen mit unterschiedlichen Farben – sie stehen für enge Freundin, halbe Freundin, Feindin –, Stand Herbst 08. Dann machen wir dasselbe noch einmal für die Zeit Frühjahr 09. (GP_KS_070509)

 Die nächste Protokollstelle bezieht sich auf eine der folgenden Sitzungen, bei der Susanne aus Eigeninitiative einen Buben namens Sascha zum Thema “Liebesdinge” interviewt, da sie unbedingt wissen möchte, wie Buben das sehen und Sascha für sie einer der netten Buben ist. Das was sie da erfährt löst einen derartigen Sturm an Erkenntnis bei ihr (und bei mir als Zuhörende) aus, dass ich denke, diesem nur durch zeichnerische Umsetzung folgen zu können:

Susanne interviewt also Sascha und ich gehe weg zu Asra und Mavi; (…).

Ein paar Minuten später gehe ich wieder zu Susanne und schicke Sascha weg; Susanne schaut vollkommen verdutzt drein und sagt ganz aufgeregt, dass das jetzt toll war, weil der doch echt gesagt hat, dass er auch Gefühle hat, und dass er darüber auch mit Männern/Buben nicht reden kann und mit Frauen sowieso nicht reden würde. Wow, sage ich, das ist ja ein starkes Stück, dann reden die Buben/Männer also mit niemandem. Ja, sagt Susanne, die schämen sich vor einander, die reden über Fußball und so. (…) Ich mache wieder eine Zeichnung: Auf der einen Seite die Jungs, auf der anderen die Mädchen und Sprechblasen, die Mädchen, reden also über die Liebe, ich male Herzchen, Susanne pflichtet mir bei; und darum, meint sie, würde das Thema immer wieder aufgewärmt, es täte zwar gut bei Schmerz, aber man käme aus dem Schmerz nicht raus, man würde sich da immer wieder reinsteigern; und die Buben reden über die Welt und über Fußball. Ich zeichnen das; Susanne meint das umgekehrte also, sie lenken sich ab, müssen cool tun aber irgendwie ist diese Ablenkung auch gut, aber wenn sie mal Gefühle hätten, dann leiden sie echt, dann haben sie gar niemanden. (Ich muss sagen ich bin beeindruckt). (GP_KS_100609) 

Ich spreche hier also nicht von ausgefeilter künstlerischer, wissenschaftlicher (technischer) oder architektonischer Zeichnung sondern vom Zeichnen als (oft unbewusste) Alltagspraxis, wie viele es etwa beim Telefonieren tun. Der Zeichenstift dient hier als Hilfsmittel Dinge zu fokussieren, schnell zu visualisieren und rückzufragen.

Die folgenden Überlegungen werden Anhand eines Beispiels aus der Forschungsgruppe „Liebesorte in der Schule“ entwickelt, die ich mit den drei Mädchen Mavi, Asly und Susanne gestaltete.

In den Diskussionssituationen zu „Liebesorte in der Schule“ wurden fast alle von den Mädchen geschilderten Situationen von der Gruppenleiterin mit gezeichnet: Erzählten sie mir davon, dass zuerst alle Freundinnen waren und dann ein Jahr später es Hass und Zwietracht gab, so versuchte ich das Gehörte spontan und während sie erzählten in ein Bild zu übersetzen: Sie sprachen und ich hatte den Stift in der Hand und zeichnete ganz, ganz schnell ein Beziehungsgeflecht (Kreise und Linien) in den vor mir liegenden Notizblock. Ich zeichnete in Realtime zum Erzählen, also: Sie sagten die Mädchen Paula, Anna und Ivonne sind befreundet, ich zeichne gleichzeitig jeweils einen Kreis mit angedeuteten langen Haaren, mache die Anfangsbuchstaben „P“, „A“ und „I“ rein und verbinde sie durch schwungvolle Linien in einer bestimmten Farbe. Dadurch, dass der Notizblock offen lag, konnten alle dabei zuschauen. Manches mal fragte ich dann auch zurück: So in etwa? Kann das so dargestellt werden? Ergibt diese Skizze einen Sinn in eurem Sinn? Ist das ein brauchbares Diagramm für das, was ihr sagen wolltet? Erzählten sie mir von einem Jungen in den sie verliebt seien, der aber zu alt oder zu jung sei, so zeichnete ich ein Mädchen (meist: einen Kreis für den Kopf, ein Körperschema, lange Haare – alles sehr Klischeehaft) und einen Jungen der viel größer oder kleiner war (auch mit Körperschema und kurzen, stacheligen Haaren) und ein Herz dazwischen; sagten sie die Liebe klappte aufgrund des Altersunterschiedes nicht, strich ich das Herz während des Sprechens durch, etc.

Die Skizzen dienten zunächst vermutlich eher der Visualisierung für mich selbst bzw. war der AKT des SKIZZIERENS eine Möglichkeit für mich ihnen gedanklich zu folgen und die Gedanken besser zu verstehen, besser nachfragen zu können bzw. auch als Gedächtnisstützen für Nachfragen („Ähhh, das Herz, gehört das jetzt durchgestrichen, soll es funkeln oder ist es ok so?“) nach Vollendung ihrer Ausführungen. Die Skizzen dienten mir also konzentriert zu bleiben und dem Redefluss der Mädchen zu folgen. Dadurch, dass der Zettel (ich glaube es ist wichtig, dass es sich meist nicht um ein wunderschönes Zeichenblatt handelte) aber offen auf dem Tisch lag und vor ihren Augen und während sie sprachen die Zeichnungen entstanden, waren sie auch eine Unterstützung der Gedankenformierung für alle am Gespräch beteiligten. Durch die Skizzen bekam der Erzählfluss der Mädchen z.B. über ihre Beziehungen untereinander erst eine Form, die dann zur gemeinsamen Orientierung im weiteren Gesprächsverlauf diente. Die Zeichnung in diesem Kontext ist eine Art des „aktiven Zuhörens“ – also das Wiederholen dessen, was das Gegenüber sagte mit eigenen Worten – OHNE dabei den Erzählfluss zu unterbrechen, das Feedback kommt also immer unmittelbar während es Redens; die Gedanken, die eine jeweilige Erzählung beim Gegenüber auslöst, zeigen sich also unmittelbar vor den Augen des Sprechenden.

Der Zeichenstift – so meine These, basierend auf meiner Reflexion meiner Erfahrungen in dieser Gruppe – ermöglichte dabei die Bildung von Gedanken und Zusammenhängen, die ihrerseits genauso durch ihre Visualisierung erst entstehen. Dass der Zeichenstift nicht einfach festhält, sondern „wesentlichen Anteil an der Entstehung von Wissen“ hat wurde im Abstract der kulturwissenschaftlichen Forschungsinitiative „Wissen im Entwurf. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Forschung“ selbst für einen so hochtechnologisierten Forschungsbereich wie den der naturwissenschaftlichen Zeichnung nachvollziehbar dargelegt:

„Der Zeichenstift hält nicht einfach fest, was sich vorher ›in Gedanken‹ ergeben hat, sondern zeitigt eigene, an einen verfahrensmäßigen Gebrauch geknüpfte Effekte; er vermittelt zwischen Wahrnehmung und Reflexion, zwischen Faktensicherung und Thesenbildung. Selbst unter den hochtechnischen Bedingungen, unter denen heute naturwissenschaftliche Forschung zumeist abläuft, ist das Zusammenspiel von Hand, Stift und Papier in seinen verschiedenen Ausprägungen nicht verdrängt worden. Im Gegenteil steht es für den höchst kritischen Bereich vorläufigen, probierenden Handelns ein, in dem aus noch nicht völlig geklärten Daten gefestigte Tatsachen hervorgehen“. (Forschungsinitiative: “Wissen im Entwurf.”)

Die Forschungsinitiative „Wissen im Entwurf“ sieht so die Gemeinsamkeit zwischen Kinderzeichnungen, Physikerskizzen, zoologischer Zeichnung und Notizzettel von Geisteswissenschafter_innen darin, Mittel des „Wissens im Entwurf“ zu sein und Gedankengängen auf die Sprünge zu helfen.

Was konnte Zeichnen als Methode in unserem Projekt leisten?

Zeichen als Methode in unserem Kontext entwickelt den Zeichenstift als einen ständigen Begleiter und Simultanübersetzer. Es geht also in diesem Verfahren nicht nur darum, gesichertes Wissen, Thesen, Fragestellungen auf Plakaten zu visualisieren, sondern auch den Prozess des Sprechens, des Nachfragens, etc. zeichnerisch zu begleiten und unterschiedliche Skizzenblätter zu produzieren. In Gang gesetzt wird dadurch auch eine Form des aktiven Zuhörens, ohne den Fluss zu unterbrechen. Gleichzeitig wird aus dem Gesagten eine anschauliche Figur, die verändert und weiterentwickelt werden kann: Ein neuerlicher Erzählfluss entsteht, neue Gedanken tauchen auf, neue Zeichnungen entstehen (oft erzeugten – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – meine Visualisierungen ausgesprochene Heiterkeit die ihrerseits dazu beitrug, Dinge auf den Punkt zu bringen oder quer zu denken, da die Scheu vor einander zu sprechen im Lachen über Comic-artige Mitschüler_innen oder Strichfiguren-LehrerInnen mit dicken Schimpfwolken, geringer wurden).

Weiters ist das Zeichnen eine Dokumentationspraxis, die von Kindern oder Jugendlichen leichter selbst übernommen werden kann als z.B. das Schreiben von Memos (Notizen) oder das Transkribieren von Interviews. So unterschied sich das

Protokoll, das die Mädchen von der Pausenbeobachtung anfertigten von meinem auch dadurch, dass kleine thematische Zeichnungen eingefügt waren, die das Geschriebene Comic-haft illustrierten; eine Praxis, die sie wohl direkt von mir übernommen haben und die sich gleichzeitig mit ihrer eigenen Alltagspraxis, an allen möglichen und unmöglichen Orten kleine Icons (Herzchen, etc.) anzubringen, verbindet. Die Zeichnungen in ihrem Protokoll verbildlichen einerseits Ausführungen oder zeigen wie beschriebene Begrüßungsrituale zwischen Mädchen ausschauen („Busen an Busen“) oder Mund an Mund (dies Mund an Mund ist meine eigene Versprachlichung einer Zeichnung zweier schematischer Mädchenköpfe, angedeutet durch einen gewellte Linie, die „langes Haar“ bedeutet; die Protokollantinnen selbst untertiteln diese Skizze mit „Lesben“; interessant ist, dass im zweiten Icon das Schema Mädchen nur mehr durch eine auf einer Seite ovalere Kopfform angedeutet wird); eines der angedeuteten Bildchen ist ein „Portrait“ eines beobachteten Mädchens, zumindest gibt es einen Pfeil zum Namen des Mädchens, während zwei andere Köpfe einfach „Buben“ darstellen, was auch mit einem Pfeil erläutert wird; erstaunlich – auch Redewendungen werden illustriert wie z.B. „es geht mir am Arsch“: Ein verkehrter 3er deutet den „Arsch“ an (das selbe Icon auf den Kopf gestellt kann zum Busen werden: „3“) oder auch: „Wir gehen weg“ wird durch ein kleines Gefährt (schwer zu erkennen, was es wirklich ist!) in der Textzeile selbst illustriert.

Was hast du gemeint? Thesen werden zu Bildchen

Das Wort „Lesbe“ , das die Mädchen in ihrem Beobachtungsprotokoll neben einer Zeichnung von zwei sich küssenden Frauenköpfen schrieben, ist für die Mädchen negativ bewertet. Die kleinen, abstrakten Icons im Protokoll können in der Interpretation aber genauso neutral als „zwei Mädchen begrüßen sich“ gelesen werden oder auch völlig unklar bleiben und Rätsel aufgeben, die neue Schlussfolgerungen zulassen. Über diese neuen Schlussfolgerungen können neue Gedanken entwickelt werden, die dann vielleicht auch die sehr fixierten Ideen von „Lesbe“ aufbrechen können. Über eine freie Interpretation einer rätselhaften / eigenartigen / uneindeutigen Zeichnung kann also zu einer weiteren Interpretation auch von Gesagtem gelangt werden.

Zeichnen als Praxis in unserem Forschungskontext einzuführen kann damit auch bedeuten, dass die Jugendlichen von ihren Fragestellungen oder Thesen kleine Zeichnungen anfertigen, dass sie also Gedanken in Visuals übersetzen, die gemeinsam mit den Forscher_innen interpretiert werden. Bilder legen spontaner als geschriebene Sätze die Fragen: „Was hast du damit gemeint?“, „Was soll das sein?“ nahe.

Vom Entstehen der Phantome 

Zeichnen als Praxis in einem partizipativen Sozialforschungsprozess mit Jugendlichen kann ähnlich funktionieren, wie das Erstellen eines Phantombildes im kriminologischen Kontext: Eine Figur schält sich aus den Wortpartikeln und Erinnerungsfragmenten der Sprechenden durch ständige Visualisierung und Veränderung der Visualisierung durch diesen begleitenden Kommunikationsprozess. Das Zeichnen ist dabei ein kommunikativer Prozess der zwischen gesprochener Sprache und Gedanken übersetzt und dadurch das Strukturieren von Gedanken unterstützen kann. Manche Gedanken entstehen überhaupt erst dadurch, dass sie Gestalt bekommen. Das genau Zeichnen ist eine weitere, wenn auch schwierigere Form dieser Denkunterstützung: Wird versucht, ein bestimmtes Ding in ein gezeichnetes Bild zu übersetzen, dann brauche ich dazu länger Zeit als im Falle der Fotografie. Gewisse Erscheinungsformen können erst gesehen werden, wenn der Versuch des „Abzeichnens“ zu genauem Schauen zwingt. Ebenso ist das genaue Sprechen, eine genaue Beschreibung von Gesehenem oder Gedachtem notwendig, wenn ich einen Zuhörer/eine Zuhörerin veranlassen möchte, dieses zu zeichnen. Mit diesen Ansätzen und Erfahrungen kann im Kontext eines Forschungsprojektes mit Jugendlichen gespielt und experimentiert werden, insbesondere wenn es wenig Übung bezüglich des Sprechens und Ausformulierens von Gedanken gibt.

Wird das Zeichnen bewusst angeregt, so können Gedanken zu einem Zeitpunkt geschärft oder transformiert werden, zu welchem sie noch gar nicht wirklich Gestalt angenommen haben und daher noch nicht ansatzweise in Worte zu fassen sind.

 

Teilnehmende Beobachtung in der Schule

von Karin Schneider.

Folgende Dinge könnten berücksichtigt werden, wenn eine teilnehmende Beobachtung mit Schüler_innen gemacht wird:

  • Schüler_innen können einfach mal so aufgefordert werden, ihre Umgebung zu beobachten und derart Dinge, die im Alltag ganz selbstverständlich wirken, unter einem neuen Blickwinkel anschauen. Wichtig ist dabei natürlich, viel von dem was gesehen wird mit zu notieren bzw. sich zu merken und danach ein Gedächtnisprotokoll
  • In Teams arbeiten! Die von den Schüler_innen selbst vorgeschlagenen Arbeitsteilungen sollten aufgegriffen und weiter entwickelt werden. Sobald nach den ersten offenen Beobachtungen gezielt entlang eines bestimmten Fokus beobachtet wird, können hier ganz konkrete Blickrichtungen ausgemacht werden: Beobachten, wie sich Mädchen und Mädchen begrüßen, wer mit wem spricht, was gesprochen wird etc… oder auch ‘follow the user’: also eine ganze Pause lang beobachten was ein Mädchen, eine Gruppe, macht oder auch ‘stay at the station’: Was passiert immer an einem bestimmten Eck? Wer kommt vorbei, wer verschwindet immer? Vergnüglich und ertragreich ist es, beide Verfahren in derselben Pausensituation von unterschiedlichen Forscher_innen durchführen zu lassen und mit den unterschiedlichen Protokollen zu arbeiten. Mit einem solchen Herangehen kann auch klar gemacht werden, dass dieselbe Situation je nach Fokus unterschiedlich erscheint. Es empfiehlt sich jedoch, diese Vorkehrungen erst zu treffen, wenn schon erste praktische Erfahrung gesammelt wurden, da den Schüler_innen dann klarer ist, wer, was gerne machen möchte und wozu gewisse Rollenteilungen sinnvoll sind; auch wird erst nach der ersten Datenanalyse (also den Diskussionen darüber, was beobachtet wurde) deutlich, wohin das Projekt gehen soll, wohin geschaut werden soll (z.B. darauf, wie sich Mädchen und Jungs begrüßen, was Lehrer_innen so machen, etc.).
  • Ein eher spielerischer Vorschlag um Beobachtungsfoki (also worauf der Blick gerichtet werden kann) zu üben, ist zum Beispiel, dass verschiedene “Brillen” vergeben werden: Die Brille für den ‘neugierigen Blick’ oder den ‘verstehenden’, den ‘neutralen’ oder den ‘auf die Ränder gerichteten Blick’; durch den Vergleich von Protokollen kann nachvollzogen werden, dass Dinge unterschiedlich gesehen werden können, wenn auf sie mit einer bestimmten ‘Brille’ geschaut
  • Das Wissen von Jugendlichen und Lehrer_innen zur eigenen (Schul-)Kultur kann genutzt werden um z.B. einen guten Ort, eine gute Uhrzeit / Situation für Beobachtungen zu finden oder um weniger ‘schulfremd’ zu
  • Feldspaziergänge, in diesem Fall Spaziergänge durch die Schule, sind dabei eine klassische Methode der Ethnographie, die als Vorbereitung sehr ernsthaft und lustvoll mit den Schüler_innen betrieben werden kann. Die Schüler_innen führen durch die Schule, markieren bestimme Orte als “brauchbar” und/oder entwickeln
  • Die methodischen Probleme eines ‘being native’, also der Situation dass hier die Forschenden selbst Teil der beforschten Szenerie sind und es sich um ihren eigenen Lebenskontext dreht – die Chancen und Probleme der Selbstbeforschung also, werden im Anschluss reflektiert; z.B. indem Erfahrungen und Phantasien zum Vorgang des Beobachtens gesammelt werden: Was passiert wenn ich mich ein bisschen aus der Welt in der ich jeden Tag bin rausnehme und beobachtend/neugierig auf alles schaue, was sich hier abspielt?

 

Geschichte und Hintergrund

 

Im Rahmen der Forschungsgruppe „Liebesorte in der Schule“ wurde von zwei der Mädchen – Mavi und Asly – und mir eine Beobachtung der großen Pause in der Schule durchgeführt. Der Beobachtungsfokus war sehr allgemein und offen: „Was tun die Schüler_innen hier eigentlich?“ Teilnehmende Beobachtung ist eine zentrale Methode der qualitativen Sozialforschung. Bevor erzählt wird, was die Mädchen und die Wissenschafterin gemacht haben, ein paar Bemerkungen dazu, was die Methode der „teilnehmenden Beobachtung“ ist und wozu sie verwendet wird:

Was ist eine teilnehmende Beobachtung?

Unter Beobachtung werden in der Sozialwissenschaft alle Formen von Sinneswahrnehmung verstanden, die sich per Teilnahme an einer Situation (also hier der großen Pause in der Schule) erschließen. Durch teilnehmende Beobachtungen kann nachvollzogen werden wie soziale Ordnungen, die sich in Alltagspraktiken – im hier und jetzt – zeigen, hergestellt werden: „Situationen sind nicht mehr das Ende einer Befehlskette oder Appendix globaler Strukturen, sondern ihrerseits widerständig und strukturierend“ (Scheffer 2001: 1f). Situationen lassen sich also nicht vorherbestimmen oder ‘am Schreibtisch’ analysieren. Im Gegenteil, am Besten lassen sie sich durch die Beobachtung von Alltagspraxen nachvollziehen. Da sich nicht alles beobachten lässt, kann man danach z.B. Interviews machen.

Kennzeichnend für eine teilnehmende Beobachtung ist dabei eben, dass die Forschenden selbst am Geschehen teilhaben, entweder in dem sie sichtbar beobachten (und mitschreiben) oder indem sie in eine Situation involviert sind. Durch das selbst ‘mitmachen’ – so die dahinter liegende These – werden Aspekte des Handelns zugänglich, die über distanziertere Verfahren oder Gespräche verborgen blieben (Lüders 2003: 151f).

Feldspaziergänge, Vorwissen und Protokollieren

 Wenn wir mit den Schüler_innen teilnehmendes Beobachten probieren, so beschäftigen wir uns also mit einem zentralen und viel diskutiertem Verfahren der Sozialwissenschaften. Zunächst einmal machte ich daher die Schüler_innen mit diesem vertraut, und wir sprachen vorbereitend darüber, was das eigentlich wäre „eine Beobachtung“ (s.o.). Dabei wurden von den Mädchen bereits die ersten reflexiven Gedanken zum Verfahren angestellt, so zum Beispiel hinterfragt, ob denn wirklich alles „was ist“ beobachtet werden könne. Eines der Mädchen, Mavi, hatte gleich die Idee, Freundinnen bei ihren Gesprächen zu beobachten und sie prophezeite mir auch, dass die Schüler (sie meinte dabei vor allem die Buben) herumalbern und extra Theater-machen würden, wenn ich mich mit meinem Notizbüchlein an einen Pausenort setzte.

An diesen Vorüberlegungen zeigte sich, dass die beiden Mädchen ein ziemlich großes Verständnis von den Gegebenheiten im Feld hatten und im Gegensatz zu mir mit einem größerem Vorwissen an die Aufgabenstellung heran gingen. Dafür hatte ich gewisse Erfahrungen damit, wie eine Fragestellung mit einem Beobachtungsfokus verknüpft werden kann: Da eine Beobachtung des Unterrichts weder möglich wäre noch zu unserem Forschungsthema „Liebesorte in der Schule“ gepasst hätte, schlug ich eine Beobachtung der Pausensituation vor. Meine Anregung dabei war, zunächst einfach zu schauen, was einzelne Leute in der Pause tun. Grundlage dafür waren erste ‘Feldspaziergänge’, das heisst, wir durchwanderten zunächst einmal gemeinsam die Schule und sprachen darüber, was an den einzelnen Orten los ist, wenn nicht gerade alle in der Klasse sitzen. Wir durchstreiften dabei auch dunkle, ‘verbotene’ Gänge und beliebte Treffpunkte.

Grundsätzliches wurde im Vorfeld auch für die in der Sozialwissenschaft übliche Praxis des Protokollierens geklärt: In einer klassischen Forschungssituation werden in der Folge Protokolle angefertigt, entweder auf Basis von Mitschriften vor Ort oder als Gedächtnisprotokolle. Diese Protokolle werden dann, idealerweise in einem gemeinsamen Gruppenprozess analysiert: Dabei werden die Daten von der konkreten Situation hin zu ersten Thesen verallgemeinert. Im Rahmen der Analyse werden weitere Forschungsfragen generiert, mit welchen wieder ins Feld gegangen werden kann (vgl. zirkuläres Forschen). Das Protokoll kann auch ergänzt werden, da durch das Gespräch und die Nachfragen Dinge besser erinnert werden. Es bedarf tatsächlich einiges an Übung zu schauen, aufzuschreiben, sich vieles zu merken und am Schluss ein brauchbares Protokoll zu erstellen.

Wie wir die Beobachtung einer Pausensituation durchführten

 Als ich in der vereinbarten Pause kam, erwarteten die beiden Mädchen mich bereits voll des Tatendranges und der Neugier. Sie hatten vor allem aber eigene Ideen dazu, was sie machen wollten:

(…) die Pause ist bereits im Gang (…) ich gehe in die Klasse rauf und Asly und Mavi gehen bereits, mit einem Blatt Papier „bewaffnet“ aus der Klasse raus und empfangen mich gleich damit, dass sie nicht da vorne beobachten wollen; wo dann hin?, lieber runter, meint Mavi. Ich verstehe das so, dass sie nicht dort sein wollen, wo die meisten ihrer direkten MitschülerInnen sind, und finde das eigentlich sehr vernünftig (Nachtrag: Bei der Auswertung ihrer Beobachtung stellte sich dann für mich heraus, dass sie sehr wohl Freundinnen beobachteten; der von ihnen ausgewählte Ort wies eine Mischung zwischen Klassenkamerad_innen und anderen auf, war aber ziemlich weit vom eigenen Klassenraum, von der Gangaufsicht habenden eigenen Lehrerin und vom Konferenzzimmer entfernt). Ich versuche nochmal auszumachen, wer was beobachtet und sehe dieselbe Ratlosigkeit (Überforderung?) wie zuvor; sie würden das eigentlich zusammen machen, eine redet, die andere schreibt. Sie berichteten mir anschließend, dass sie immer auf einer Couch saßen und ihren Kolleg_innen zusahen und dann aufs WC gingen um zu schreiben. (BP_KS_060509)

Da ich vermutete, dass das Mitschreiben für die Schüler_innen schwierig sein könnte schlug ich vor, dies gemeinsam zu tun oder sich viele Dinge zu merken, und dann später aufzuschreiben. Die Mädchen jedoch fanden für sich eine praktikablere Methode – sie “versteckten” sich nach bestimmten Sequenzen, gingen gemeinsam auf das Mädchenklo und schrieben dort zusammen auf. Dies war um so notwendiger, als ein Aufschreiben vor der versammelten Kolleg_innenschaft kaum möglich gewesen wäre ohne die ganze Aufmerksamkeit und möglicher Weise auch Gelächter und Spott (Wer verbringt schon die Pause schreibend?) oder Misstrauen („Schreibt die da was über mich?“) zu provozieren. Die Mädchen brachten also (intuitiv) ihr Wissen um die feldspezifischen Gegebenheiten ein.

Beobachten und Beobachtet werden oder wer reagiert auf wen?

Wie eine Beobachtung also im Konkreten gemacht werden kann/soll, hängt von den Bedingungen im Feld ab, also z.B. davon, ob ‘Herumstehen und Mitschreiben’ nicht weiter auffällt (das wäre bei einer Vorlesung auf der Uni der Fall) oder ob im Gegenteil eine solche Aktivität die gesamte Beobachtungssituation durcheinander bringt. Störungen des Feldes können aber auch gezielt eingesetzt werden, um beobachtbar zu machen, wie die jeweilige Ordnung im Feld funktioniert. So lernte ich selbst im konkreten Fall über Regeln in der Schule, dadurch dass ich nicht wirklich wusste, was hier passiert, wenn jemand mit einem Notizbuch rumsitzt und mitschreibt und mich deshalb “daneben” benahm; ich beobachtete also weniger eine ‘normale’ Pausensituation sondern die Reaktionen auf eine Störung der Normalität (nämlich mich) und ich lernte, hier nicht einfach als ‘schulfremder’ Erwachsene herumsitzen zu können ohne extreme Reaktionen bei den Schüler_innen hervor zu rufen:

Überhaupt ist mir nicht klar, wie unpassend eigentlich eine fremde Erwachsene Person in der Pause ist und wie sehr das, wie Mavi das letzte Mal vermutet hat, das Geschehen beeinflusst. Ich beginne mich also hinzusetzen so wie gewohnt und schreibe auf, dass ich zwei Mädchen an einem Tisch sitzen sehen. Sie sitzen nebeneinander, die eine hat den Kopf an der Schulter der anderen: Hast du süße Augen, meint die eine zur anderen über ein drittes Mädchen, jetzt reden alle drei auf Türkisch miteinander, was ich natürlich nicht verstehe. Es kommt ein Bub dazu, irgendwie ist er im Gespräch beteiligt. Es vergeht nicht viel Zeit und mehrere Buben, die sehr groß und sehr „Halbstark“ ausschauen kommen her und wollen wissen was ich da mache, ich versuche ihnen zu erklären, dass wir ein Forschungsprojekt machen über die Schule und die Pause (bissi geschwindelt) und dass ich aufschreibe, was ich alles sehe und zwei Mädchen das auch tun; aber soweit interessiert sie das gar nicht. Sie interessieren sich aber sehr dafür, was ich hier schreibe und ob das wirklich so ist, dass ich alles aufschreibe und was sie machen sollen, dass sie im Protokoll vorkommen; schreib „ich steh auf rasierte Vagina“ sagt der kleine Bub mit kurzen Haaren. Ich schreibe das auf und beide kontrollieren, ob ich das auch wirklich geschrieben habe; wo steht Vagina – da sage ich und zeige es ihnen. Die Buben kommen die ganze Zeit wieder und machen irgendwelche Provokanten Dinge, Hip hop tanzen und sagen Sachen mit sexueller Anspielung damit ich sie aufschreibe. Ich meine, dass es jetzt eigentlich reicht, zu schreiben, dass die Buben Blödsinn machen und klappe mein Heft zu, weil solange ich schreibe kann ich nicht beobachten.

Frau S. hat Gangaufsicht und ermahnt jemanden; der große Junge sagt zu mir„Sind sie denn ein normaler Mensch?“ „Öh sag ich ich denk schon“ „Ist Ihnen fad?“ „Jetzt grad nicht, ich beobachte euch ja…“

(…) Als ich mein Büchlein zumachen, um in Ruhe den Raum beobachten zu können, kommt Frau W. (die Aufsicht habende Lehrerin) auf mich zu und beginnt ein bisschen zu Plaudern. Zuerst denk ich mir, uje jetzt komm ich wieder nicht zum beobachten, aber dann komm ich drauf, dass ja auch Frau W. und ich selbst teil der Szene sind. (BP_KS_060509)

Das beobachtete Geschehen wird also auch immer von den Beobachtenden mit gestaltet. Die Forscher_innen beschreiben immer jene Situation, die durch die unterschiedlichen Teilnahmen (auch die eigenen) hervorgebracht wird (vgl. Scheffer 2001: 16).

Schüler_innen und schulfremde Wissenschafter_innen sehen also andere Dinge, weil sich ihnen andere Dinge zeigen und sie verstehen die Situationen jeweils unterschiedlich, weil sie unterschiedliche Dinge wissen.

In der partizipativen Sozialforschung können diese unterschiedlichen Blick- und Wissenspositionen verbunden werden und so zur Erkenntnisgenerierung in der Schul- und Jugendkulturforschung beitragen.

 

Das Befremden des Eigenen

Eine Erfahrung über die die Mädchen immer wieder sprachen war: Beobachtet jemand in seinem/ihren eigenen Lebensumfeld, kann dies unter Umständen auch schwierig sein, da das was wir sehen auch stark davon geprägt ist, was wir wissen oder annehmen. Die Tatsache, dass soviel über die eigene Situation gewusst wird, wurde von den Schüler_innen sehr widersprüchlich wahrgenommen und immer wieder thematisiert:

Mavi (eine Schülerin, die beobachtete) fängt darauf hin an, darüber nachzudenken, was denn anders ist, wenn man wo in einer fremden Schule beobachten würde und wenn man das Eigene beobachtet. Ich schlage vor, dazu ein Plakat zu machen und male ein Auge für “Beobachten”: Mit dem Fremden fühlen wir uns unsicher, wir können es weniger einschätzen, wir wissen weniger, was aber auch ein Vorteil sein kann! Das Seltsame am Eigenen beobachten ist, dass das eigene plötzlich auch so fremd wird. (GP_KS_070509)

 Das Beobachten der so vertrauten Pausensituation wurde von Asly und Mavi also auch als „Befremdung“ des Eigenen wahrgenommen: „Das seltsame am eigenen Beobachten ist, dass es plötzlich so fremd wird“ meinte Mavi an unserem Projekttag

– allein also der Umstand, dass durch das Beobachten des eigenen Lebensumfeldes darauf ein ungewöhnlicher/ungewohnter Blick geworfen wird, lässt dieses bereits anders als sonst erscheinen. Dieses ‘Anders erscheinen lassen’, das Fremd werden, ist bereits der erste Schritt zu Reflexion und Analyse und gleichzeitig auch notwendige Vorraussetzung für das Generieren sozialwissenschaftlicher Daten. Dies impliziert auch ein Nachdenken darüber, was es bedeutet, dass aufgeschrieben wird, was Freund_innen denken oder was man selbst über Mitschüler_innen denkt – also ein Reflektieren der “Forschungsethik”.

Den beiden Mädchen war, auf Basis der gemachten Erfahrung, sehr wohl klar, dass Dinge über andere Menschen aufzuschreiben und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen und diese publik zu machen – also Daten zu generieren, zu interpretieren und zu veröffentlichen – eine heikle, voraussetzungsreiche Sache ist, die immer wieder besprochen werden muss. So ist es ihnen (bis heute) sehr wichtig, dass ihr konkretes Protokoll mit all den Namen nicht veröffentlicht wird. Da sie ihr eigenes Lebensfeld beobachteten, kann es auch mit Namensnennungen nicht veröffentlicht werden, da zu schnell nachvollziehbar wäre, um wen es sich handelt. In der gemeinsamen Forschung mit Jugendlichen müssen solche Vorgaben unbedingt akzeptiert und gemeinsam Wege gefunden werden, dennoch die Daten zu interpretieren. Die Anonymisierung von Namen (Susanne wird zu Claudia, etc.) kann in der Diskussion bereits helfen, eine Distanz zum Geschehen zu bekommen und damit zu beginnen, verallgemeinerbare Schlussfolgerungen zu ziehen.

Jene Frage, die in der methodologischen Debatte um teilnehmende Beobachtung zentral diskutiert wird, ist die Frage von Nähe und Distanz der Beobachtenden zum Feld und die daraus resultierenden forschungsethischen Implikationen (s.o.).

Ohne gewisse Nähe zum Feld können keine Daten gewonnen, ohne gewisse Distanz kann nicht beobachtet werden (Lüders 2003: 152). Beides ist nicht fixiert, sondern kann hergestellt und variiert werden: Eine Wissenschafterin kann im Schulalltag zu einer vertrauten Person werden und deshalb mit der Zeit als Beobachtende akzeptiert sein, die Schüler_innen ihrerseits können Verfahren zur Befremdung des ‘Eigenen’ entwickeln. Genau diese Fragen wurden auch von den beiden Mädchen behandelt, die die Pausenbeobachtung machten. Dass wir darüber in der Reflexion ihrer Erfahrungen zumindest genauso viel sprachen, wie über die im Protokoll festgehaltenen Inhalte, ist eine weitere Parallele zu sozialwissenschaftlichen Arbeitsweisen, bei denen die Reflexion der eigenen Positionierung im Feld, wesentlicher Teil der Forschungsarbeit ist.

 

Auswertung von Beobachtungsprotokollen

von Karin Schneider.

Während des Beobachtens und Protokollierens zwischen Beobachtung, Interpretation und Vorwissen zu unterscheiden erfordert tatsächlich einiges an Übung und Vertrautheit mit dem Forschungsvorgang. Hierfür haben wurden in der Forschungsgruppe

„Liebesorte in der Schule“ einige Verfahren entwickelt:

  • Farbmarkierung im Text um verschiedene Ebenen – Beobachtung, Vorwissen, Interpretation – klar zu
  • Ausschneiden und aufkleben von Textstellen, z.B. nach verschiedenen Kategorien. Auch erfahrenen Sozialwissenschafter_innen fällt es oft schwer von der Beobachtung zu Thesen zu kommen: Wie können wir konkrete Beobachtungen Schritt für Schritt in verallgemeinerbare Aussagen überleiten, ohne dass vorschnelle Schlüsse gezogen werden? In unserer Forschungsgruppe probierten wir folgendes:
  • Einzelne Worte nach ihren Implikationen hin untersuchen: z.B. „Auslachen“: Was verbinde ich mit diesem Wort, auf wen verweist das noch (jenseits derer, die in der Beobachtung vorkommen)?
  • Verallgemeinerungen ausprobieren: Zu welcher Gruppe gehören die, die ausgelacht werden? Wer wird von wem ausgelacht? Welche Konsequenzen hat das für wen?

=> Was also sind mögliche überindividuelle, gemeinsame Merkmale der Kinder?

  • Die jeweiligen Erkenntnisschritte können auf Plakaten dokumentiert werden, die dann wieder mit anderen aus der Forschungsgruppe diskutiert
  • Wichtig dabei ist, dass es immer ein Wegbewegen vom Protokoll und ein wieder Hinbewegen gibt – quasi eine Pendelbewegung zwischen Abstraktion und Theoriebildung und dem konkreten Text; die einzelnen Protokollstellen sollten dazwischen immer wieder paraphrasiert (in eigenen Worten sinngemäß wiedergeben) und verallgemeinert
  • Oft reichen sehr einfache Mittel der Befremdung um Erkenntnisse zu generieren, die über die beobachtete Situation hinausgehen wie: Das Protokoll mit anderen Namen zu lesen; einfache Fragen zu stellen wie: Ist das immer so? Wer macht es für wen?,
  • Für jene, die nicht immer diskutieren wollen: Ein immer genaueres Verständnis einer Situation kann manchmal auch über das Nachspielen von Situationen und / oder über zeichnerische Umsetzungen gewonnen
  • Einfache erste Schritte des offenen Kodierens, wie sie in der Grounded Theory beschrieben sind, können probiert werden: Den einzelnen Sequenzen Titel geben, Namen für Akteuer_innen erfinden (im Grunde war „Liebesorte“ schon so ein erfundener Name): Wenn mehrere Situationen beobachtet werden, können diese mit einander verglichen werden ( Strauss/Corbin 1996: 47-50)
  • Immer wieder mit den Schüler_innen gemeinsam die Frage stellen: Was ist das? Was geht da vor? Und aus den Antworten Plakate generieren versuchen…

Die Fremdheit der Forscher_in dem Feld gegenüber kann für Nachfragen (‘dumme Fragen’) genutzt werden und so mit der Vertrautheit der Jugendlichen dem Feld gegenüber eine gute Verbindung zur Wissensgenerierung eingehen.

Der nachfolgende Text beschreibt, welche unterschiedlichen Erfahrungen mit der Analyse des Protokolls in der Forschungsgruppe “Liebesorte in der Schule” gemacht wurden.

Beispiel einer Auswertung einer Beobachtung mit Schülerinnen

 

Das Protokoll der beiden Mädchen (Auszug):

Tamara und Janna begrüßen einander manchmal so, Busen an Busen. Da schauen sie aus wie Lesben. Wir wollen ja nicht gemein sein, aber es stimmt so.

Aus meinem Protokoll dazu:

Mavi liest kichernd das anonymisierte Protokoll vor und kichert über die Namen wie sie sagt; endlich ist es ihr möglich mit Claudia über das Beobachtungsprotokoll zu reden, da sie ihren Namen nicht nennen muss. Sie bekamen von mir die Aufgabe, herauszufinden, welche Taten lt. Protokoll vollzogen wurden und was dadurch ausgelöst wurde: Mavis Fazit: Wer ausgelacht wird, oder wer angesehen und bemerkt wird… manifestiert sich über bestimmte Taten wie Haxlstellen und es gibt ein bestimmtes Wissen der Schüler_innen darüber, welche Tat zu welchem Ergebnis führt. (GP_KS_061009) 

Beobachtung, Interpretation und Vorwissen: verschiedene Ebenen im Protokoll 

Das Protokoll, das die Schüler_innen Mavi und Asly von einer teilnehmenden Beobachtung einer Schulpause anfertigten, unterschied sich qualitativ nicht primär durch die Kürze als durch die expliziten Wertungen des Gesehenen von einem klassischen wissenschaftlichen Protokoll. Es beinhaltete, um mit Fachtermini zu sprechen, bereits erste Thesen ohne dass diese explizit von den Schüler_innen gekennzeichnet wurden. Anders ausgedrückt: Protokollieren von Gesehenem, Erlebten ist prinzipiell immer bereits Interpretation; gerade deshalb versuchen Sozialforscher_innen in ihren Protokollen sehr genau zwischen der bewussten Reflexion der Forscher_in und dem Versuch Gesehenes zu erfassen, zu unterscheiden; auch Projektionen und Vorurteile der Forschenden können festgehalten werden, da dies gutes Material bietet, um über die eigene Position im Feld Auskunft zu erlangen. In den Protokollen werden die einzelnen Ebenen z.B. dadurch unterschieden, dass Vermutungen oder Zuschreibungen in eckige Klammern gesetzt werden „[…]“ oder erste Thesen, Vorschläge für Forschungsfoki oder Verallgemeinerungen am Ende des Protokolls explizit formuliert und zum Beispiel durch eine andere Schrift ausgewiesen werden.

Dass sich im Protokoll der zwei Mädchen so viele Zuschreibungen finden, ist wohl (sieht mensch von der Lust der Kinder am heimlichen Kommentieren ihrer Klassenkolleg_innen ab) auch ihrem größeren Wissen um das Geschehen geschuldet. Sprachen die Mädchen über das was sie „sahen“ kam es mir, der „Fremden“, vor, als würden wir eine Fortsetzungssoap anschauen bei welcher bereits die Charaktereigenschaften und Verstrickungen der Protagonist_innen bekannt aber auch fixiert sind: Sie schreiben im Protokoll darüber, wer in wen verliebt ist, wer auf wen steht und wer wen ablehnt. Ein Protokoll das bereits soviel Interpretation enthält, muss erst einmal danach durchforstet werden, worüber gesprochen wird.

Wir entwickelten gemeinsam Vorschläge des Aufdröselns, die die unterschiedlichen Ebenen des Protokolls freilegten. Diese sollen im Folgenden kurz beschrieben und zusammengefasst werden:

Wir beginnen damit, dass wir uns die Protokolle der Schüler_innen nochmal anschauen und versuchen jene Zeilen mit verschiedenen Farben zu markieren, die

„Tatsächliche Beobachtung in dieser Pause“, die „gewusstes Wissen“ und die

„Vermutungen / Glauben“ (= Thesen) waren – zunächst machen das die beiden Schüler_innen zusammen und dann wir alle gemeinsam am Computer. Die von mir gegebene Aufgabenstellung wurde als durchaus lustvoll und viel einfacher erlebt, als ich es zunächst vermutet hatte. Die Idee dahinter war, zu sehen: Was ist das, was wir wirklich sehen, an was wir uns tatsächlich erinnern, was sehen wir, weil wir es wissen und was vermuten wir? Wir sprechen ziemlich lange darüber, was man wirklich sehen kann und was man sieht, weil man es weiss, weil es immer schon so war, etc.

Diese Diskussion ist mindestens so interessant wie mögliche Ergebnisse der Beobachtung, da sie ganz prinzipielle Fragen nach der Involviertheit der Forschenden in das zu Beforschende berührt; bedeutend für das Gelingen einer solchen Arbeit mit den Kindern ist, dass ihre Protokolle als wissenschaftliche Dokumente ernst genommen werden, auch wenn sie auf den ersten Blick ganz anders ausschauen, als dies von Sozialforscher_innen oder in den Forschungsprozess involvierte Lehrer_innen erwartet wird.

So gehen wir jeden einzelnen Satz durch: „Er schaut auf sie“ kann man sehen, „er ist in sie verliebt“ ist Vorwissen oder Vorannahme, etc.

Verliebt sein, gemein sein, Haxl stellen und andere Abstraktionsschritte

 

Ihre eigene Involviertheit ins Feld bedeutet auch, dass die Frage der Anonymisierung der Daten eine dramatische Relevanz gewinnt. Die Mädchen sagen mir mehrmals eindringlich, dass ihr Protokoll ein heiliges Stück ist, das niemandem in die Hände fallen darf, da dies ernsthafte Konsequenzen in der peergroup aber u.U. auch gegenüber Lehrer_innen hätte; auch aus dieser Notwendigkeit heraus entwickeln wir methodische Vorschläge, die in Folge kurz skizziert werden sollen:

Während der Beschäftigung mit dem Beobachtungsprotokoll werden jene Wörter herausgeschrieben, die allgemein etwas über „Liebe, Freundschaft, Feindschaft“, … aussagen und über die allgemein diskutiert werden kann, ohne dass die je konkreten Geschichten und ihre Protagonist_innen genannt werden müssen. Es sind dies im konkreten folgende Begriffe: BETRÜGEN, ERZÄHLEN, ÜBER XXX REDEN DASS SIE JEMAND NICHT MAG; GLAUBEN, DASS WER VERLIEBT IST, WIR GEHEN WEG, SIE BEGRÜSSEN SICH, WIE LESBEN AUSSCHAUEN, GEMEIN SEIN, AUSLACHEN, KINDISCH SEIN, NERVEN

Ich ergänze nach nochmaliger Schilderung der Situationen bzw. bitte sie, dass ich ergänzen darf: DINGE RUMERZÄHLEN, ÜBER EINANDER REDEN, WEN ANSCHAUEN, VERLIEBT SEIN <->NERVÖS SEIN

In diesem Verfahren wird abermals klar gemacht, dass wir nur die Dinge verhandeln, die hier wirklich stehen und immer mehr von unserem Vor- und Kontextwissen weg zu dem Wissen, das mit der je konkreten Beobachtung produziert wurde hingehen. Weiters entwickeln wir ein Verständnis von bereits dahinter liegenden ideologischen Konzepten, die hier eine Rolle spielen. Die einzelnen Worte im Protokoll werden nun in einem Plakat in zwei Spalten eingetragen: “Gute Welt” – “Schlechte Welt” (#link plakat); Grund für diese Aufgabenstellung war die Suche nach Hilfestellungen für den nächsten Abstraktionsschritt. Da im Protokoll, wie bereits dargestellt, relativ viele Wertungen und Stereotype vorkamen (wie zum Beispiel: „Sie sagt zu ihm, lass mich in Ruhe, aber trotzdem mag sie es.“) erschien es mir sinnvoll mit einer Explikation derselben zu arbeiten.

Das Ziel der Aufgabe war also, unterschiedliche Wertungen, die sie immer wieder in das Protokoll hineinschrieben waren, offen zu legen, um zu schauen mit welcher Basis von Wertung im Kopf wir operierten.

Als nächstes suchten wir im Protokoll nach Taten und Personengruppen, die involviert sind, um eine genauere Vorstellungen der Verstrickungen an diesem Ort

„Pausenraum“ zu bekommen: z.B: Haxl stellen – Integrationskinder sind Opfer, etc. Ausgehend davon können wir über Verschiedenes reden, das sich in der Schule abspielt und versuchen, Strukturen herauszufinden, die etwas mit der Welt außerhalb des Pausenortes zu tun haben: Integrationskinder werden ausgelacht; wie Lesben ausschauen ist negativ, etc. Wir kommen so immer mehr vom Kleinen zum Großen, von konkreten Kindern und Vorwissen zu diesen allgemeinen Fragen und Konzepten, wie etwa dem der „Heteronormativität“, „wie Lesben ausschauen“ und der Diskriminierungsstrukturen (Integrationskinder werden ausgelacht); dabei wird die Mikrosituation nicht in allgemeinen Erzählungen aufgelöst, sondern es wird versucht, ein immer genaueres Verständnis dessen zu bekommen, was in der konkreten Pausensituation passiert. Aber auch davon, wie davon ausgehend über

„die Welt“ nachgedacht werden könnte. Die Herausforderung für die/den Moderator_in einer solchen Situation ist, dass immer dann, wenn die Schüler_innen zu weit in Spekulationen abdriften, sie wieder auf den konkreten Text, das konkrete Ereignis zurück verwiesen werden und gleichzeitig möglichst jede (assoziative)

„Absprungrampe“ benutzt wird, um über allgemeine Strukturen nachzudenken.

Ausgehend von den Fragen des Auslachens der einen durch die anderen und mein Interesse daran, welche gesellschaftlichen (Diskriminierungs)strukturen sich dabei zeigen könnten, entstanden viele Diskussionen in unserer Gruppe, die weit über das ganz konkrete Protokoll hinaus führten. Sie bildeten einerseits die Basis für Plakate, die von den Schüler_innen gemacht wurden als auch für einen Konferenzbeitrag #, den die Wissenschafterin geschrieben hat.

Die Polaroidfoto-Methode

Doris Harrasser & Sabine Sölkner

Abb.1: Polaroidfotos

  

Ideenpool

  • Bei dieser Methode sind die Schüler_innen gleichzeitig Forscher_innen und Beforschte.
  • Die Schüler_innen müssen sich dafür bereit erklären, der Forschungsgruppe einen intimen Einblick in ihre Lebenswelt zu gewähren – die Mitarbeit der Schüler_innen muss als auf freiwilliger Basis
  • Nach einer Vorbesprechung mit den Schüler_innen bei der das Ziel der „Dinge- aus-meinem-Leben-Methode“ geklärt wird, ist es empfehlenswert, die Benutzung der Polaroidkamera mit den Schüler_innen zu üben (z.B. Wie halte ich die Kamera? Wie können sich Objekte heranzoomen? Was ist bei der Sofortentwicklung der Fotos zu beachten?). Zu klären ist auch, wie viele Bilder gemacht werden
  • Nun nimmt eine/r der Schüler_innen die Polaroidkamera mit (nach Hause), um dort wichtige Dinge aus ihrem/seinen Leben zu
  • Die Fotos werden zum nächsten Treffen der Forschungsgruppe
  • Um die nun folgende „Analyse“ der Fotos zu dokumentieren, kann das Gespräch mit einem Audiorekorder aufgenommen
  • Der Fotograf/die Fotografin entscheidet welches Bild er/sie zuerst besprechen möchte und erzählt in der Folge, was darauf zu sehen ist, warum es aufgenommen wurde und welche Bedeutung die Dinge auf dem Bild haben.
  • Nun sind die anderen Gruppenmitglieder an der Reihe Fragen zu stellen. Je mehr Fragen gestellt werden, desto mehr Informationen können über die Sichtweise des/der Schüler_in auf seine/ihre Lebenswelt gesammelt Weiters können auch Gruppendiskussionen entstehen, in denen diese individuellen Eindrücke mit anderen verglichen und dahinterliegende soziale Strukturen herausgearbeitet werden können (in dem dargestellten Fall in Bezug auf das Thema Migration und Grenzen).
  • Die Arbeit mit den Fotos ist dann abgeschlossen, wenn keine Frage mehr gestellt werden, bzw. keine spontanen Erzählungen der Fotografin/ des Fotografen erfolgen.
  • Nun ist zu überlegen, ob ein weiteres Foto bearbeitet wird. Dies hängt vermutlich von der Ausdauer der Forschungsgruppe und den zeitlichen Ressourcen ab. Prinzipiell spricht nichts dagegen, die Analyse weiterer Bilder bei einem nächsten Treffen fort zu setzen. Es ist auch nicht notwendig alle Bilder zu besprechen, es kann durchaus eine Auswahl getroffen Interessant ist allerdings, wenn mehrer Bilder mit einander in Zusammenhang gebracht werden.
  • Am Ende der Sitzung sollte vereinbart werden ob und wer die Erzählungen zum Bild schriftlich festhält. Möchte dies der/die Fotograf_in übernehmen, andere Schüler_innen, die Lehrperson, oder gemeinsam? Ob und wie man die Ergebnisse des Gesprächs dokumentiert hängt hauptsächlich davon ab, wie der weitere Projektverlauf geplant ist. Ist das Ziel hauptsächlich innerhalb der Forschungsgruppe Erfahrungen mit Forschungsmethoden zu sammeln, genügt es eventuell auch nur die Audioaufnahme als Dokumentation aufzubewahren, möchte man aber die Forschungsarbeit auch öffentlich präsentieren (wie es zum Beispiel Azra auf der Homepage macht) ist es sinnvoll, möglichst bald nach dem Gruppengespräch einen Text zum Bild zu schreiben.
  • Besonders interessant ist es, wenn mehrere Schüler_innen Dinge aus ihrem Leben fotografieren und diese Fotos besprochen werden. In diesem Fall können auch Querverbindungen zwischen den Erzählungen hergestellt werden, gemeinsame oder unterschiedliche Sichtweisen auf sich wiederholende Themen diskutiert und reflektiert werden. Dadurch können zum Beispiel Rückschlüsse auf gesellschaftliche Muster und Zusammenhänge gezogen werden.

Inhaltliche Überlegungen entlang eines Beispiels aus der Praxis

 Auf der Suche nach geeigneten Methoden, um mit Schüler_innen Sozialforschung zu betreiben, stießen wir auf Forschungsansätze, die mit Fotografie arbeiten. In der Forschungsgruppe zu Migration und Grenzen kam sie schließlich zum Einsatz. In einer der ersten Begegnungen zwischen den Schüler_innen und den Wissenschafter_innen wurde der Begriff der „(Uns-)Forschung“ für unser Vorhaben, gemeinsam Sozialwissenschaft zu betreiben, von einem Jugendlichen formuliert.

Schließlich würde es dabei doch letztendlich um uns Selbst gehen, wenn wir soziale Zusammenhänge in unserer Gesellschaft untersuchen würden. Dieser ausgesprochene Selbstbezug der Jugendlichen führte dazu, dass die Schüler_innen sowohl zu Objekten, als auch Subjekten unserer gemeinsamen Forschung wurden. Von sich selbst ausgehend versuchten sie mit uns gemeinsam einen forschenden Blick auf ihre Lebenswelt zu werfen.

Der Einsatz der Polaroid-Foto-Methode gestaltet sich in der Praxis folgendermaßen: Ein_e Schüler_in nimmt die Polaroid Kamera1 mit nach Hause und fotografiert Dinge (dies können Menschen, Gegenstände, Räume, etc. sein), die in ihrem/seinem Leben wichtig sind. Diese Bilder werden zum nächsten Treffen der Forschungsgruppe mitgebracht. Nun präsentiert der oder die Fotograf_in die Aufnahmen und erzählt welche Bedeutung die Dinge auf den Fotos für sie haben. Sie geben Detailinformationen, gehen auf die Geschichte(n) der abgebildeten Objekte oder Personen ein oder weisen auf Sachverhalte hin, die auf den Bildern fehlen. Im Anschluss daran können die Gruppenmitglieder Fragen stellen, die zu weiteren Erzählungen führen können. Besonders interessant ist es in diesen Gesprächen, den Fragen nachzugehen, welche Bedeutung das abgebildete Ding bzw. der abgebildete Mensch für den/die Fotograph_in hat und warum, welcher Ausschnitt warum gewählt wurde, was darauf wie zu sehen, aber auch nicht (mehr) zu sehen ist oder in welcher Anordnung sich die Dinge auf den Fotos befinden, etc. Dieses Gespräch kann mit einem Audiorekorder aufgenommen werden. Es kann aber auch schriftlich festgehalten werden, indem zum Beispiel zu jedem Bild eine Geschichte geschrieben wird.

In der Ethnologie und in der Soziologie wird diese Art der Methode als Fotobefragung bzw. Fotointerview bezeichnet. In der Literatur wird vor allem auf den Ethnographen und Fotografen John Collier verwiesen, wenn es um die Entwicklung fotografischer Methoden geht. Zentral ist dabei, dass es nicht um die Dokumentation einer Kultur aus der Beobachtungsperspektive geht – quasi von außen, sondern darum, Wege zur Innensicht der Kultur, also zu subjektiven Interpretationen und Bedeutungen von Personen zu eröffnen (Wuggenig 1990).

Durch die Arbeit mit dieser Methode nehmen die Schüler_innen im Forschungsprozess eine Expert_innenrolle ein und geben (durch sie selbst selektierte) Einblicke in ihre Lebenswelt. Durch die Differenz zwischen Realität und der zweidimensionalen, verkleinerten, geräuschlosen fotografischen Abstraktion, kann eine Distanz zur gewohnten Welt hergestellt werden. Die Fotos können also dazu beitragen, die vertraute Welt auf neue Weise wahrzunehmen (vgl. Collier 1957: 857). Diese Möglichkeit zur Distanzierung stellt einen Ausgangspunkt für die Reflexion eigener Alltagspraktiken und ihrer Einbettung in gesellschaftliche Zusammenhänge dar. Damit bietet die Polaroid-Foto-Methode eine geeignete Arbeitsform, um mit Schüler_innen Sozialforschung in Form von Uns-Forschung zu betreiben. Unserer Erfahrung nach kann die Methode dann gut eingesetzt werden, wenn die Jugendlichen etwas über ihr eigenes Leben herausfinden oder darstellen wollen. Mit der Polaroid-Foto-Methode ist es möglich, Methoden der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisproduktion mit einer kreativ- künstlerischen Praxis in Verbindung zu bringen. Schnelle Schnappschüsse und assoziative Kommentare, die eher an Verfahren in der Kunstproduktion oder der Reportage erinnern, können dabei ebenso zu interessanten Erkenntnissen führen, wie der Einsatz sozialwissenschaftlicher Interpretationsverfahren. Durch die künstlerische Komponente gibt dieser Ansatz auch Einsicht in den kreativen Vollzug des Alltags von Jugendlichen.

Für den Soziologen und Jugendkultur-Forscher Paul Willis ist Kreativität ein zentrales Element von Alltagspraktiken. Dementsprechend betont er, dass es „(…) eine pulsierende symbolische Lebendigkeit und Kreativität im Alltagsleben, in den alltäglichen Aktivitäten und Ausdrucksweisen gibt – auch wenn sie manchmal unsichtbar ist, von oben betrachtet oder verunglimpft wird.“ (Willis 1991: 11) Diese künstlerisch-kreativen Alltagspraxen von Jugendlichen sollen laut Willis nicht erfunden oder propagiert, sondern wieder erkannt werden. Dies kann die Polaroid- Foto-Methode leisten: Indem die Jugendlichen Ausschnitte aus ihrem Alltag fotografisch dokumentieren, wird dieser verhandel- und darstellbar. Gleichzeitig verändern sie aber auch ihre Alltagspraxis in dem Moment in dem die Tätigkeit des Foto-machens zu einem Teil ihres Alltags wird.

Literatur

Wuggenig, Ulf, 1990: Die Photobefragung als projektives Verfahren. In: Angewandte Sozialforschung, Jg. 16, Heft 1/2.

Collier, John, 1957: Photographie in Anthropologie. A Report on two Experiments.

American Anthropologist, (59), S. 843-859.

Willis, Paul, 1991: Jugend-Stile. Zur Ästhetik der gemeinsamen Kultur. Hamburg (Argument Verlag)

 

 

1 Wir haben in unserem Projekt mit einer Polaroid Kamera gearbeitet, da das Sofortbild in seiner materiellen Besonderheit ein sehr reizvolles Medium für die Schüler_innen war. Ist keine Polaroidkamera vorhanden können auch Bilder mit einer analogen oder digitalen Kamera aufgenommen und anschließend entwickelt werden

 

Begriffebox

von Doris Harrasser. 

Ideenpool zur Begriffebox

 

  • Die Begriffebox hat den Zweck (Fach-)Begriffe, die im Rahmen der Forschungsarbeit mit Schüler_innen unklar sind, zu sammeln und Erklärungen für sie zu finden. Unklare Begriffe gibt es dabei für Schüler_innen wie für Lehrer_innen und Wissenschafter_innen. Dadurch, dass sich Kompetenzen mischen und je nach Begriff einmal die einen und dann die anderen Erklärende sind, wird eine gemeinsame Forschungskultur jenseits hierarchischer Wissensvermittlung in Szene gesetzt und
  • Fachbegriffe haben oft mehrere Bedeutungen, je nach historischem Kontext, Autor_in, theoretischer Schule oder Community können jeweils eigene Definitionen entstanden sein, die gleichlautende Begriffe unterschiedlich erläutern. Diese Vielfalt soll bewusst vermittelt
  • Als Begriffebox kann ein kleiner Karteikasten (mit alphabetischem Ordnungssystem) verwendet Er soll so handlich sein, dass er bei jeder Forschungssituation mit dabei sein kann.
  • Wenn bei Gruppengesprächen, Interviews, (Internet-)Recherchen oder anderen Aktivitäten unverständliche Begriffe auftauchen, werden sie auf eine Karteikarte
  • Falls ein Gruppenmitglied erklären kann, was der Begriff bedeutet, wird diese Erklärung auf der Karteikarte notiert und in die Karteibox
  • Falls niemand eine Erklärung abgeben kann, wird die Karteikarte vorne in den Karteikasten gesteckt, damit nicht in Vergessenheit gerät, dass diese Begriffe noch erklärt werden
  • Bei weiteren Forschungsaktivitäten (z.B. bei Internetrecherchen oder im Rahmen von Gesprächen mit Expert_innen) können im Laufe des Projekts Erklärungen gesammelt
  • Am Ende stehen also auf vielen Karten mehrere Erklärungen, die den jeweiligen Wissensstand, die Meinungen der Forschenden, der Interviewpartner_innen, Informationen aus Lexikonartikeln, etc.

Inhaltliche Überlegungen und Anwendungsbeispiel

Nicht nur in den (Sozial-)Wissenschaften, sondern auch in vielen anderen gesellschaftlichen Feldern (wie zum Beispiel in der Welt des Fußballs, des Managements, der Politik, aber auch der Automechanik, der Schlosserei, der Massage, etc.) werden Fachbegriffe verwendet. Diese Begriffe sind meist mit einem Spezialwissen (z.B. in Bezug auf die Verwendung sozialwissenschaftlicher Methoden bzw. Theorien, oder im Fall von Fußball mit Regeln oder Bezeichnungen für den Spielablauf) verbunden. Für Außenstehende, die sich nicht in diesen spezifischen Wissensgemeinschaften aufhalten, sind diese Begriffe meist nur schwer und häufig auch gar nicht verständlich. Was ist denn nun eine Analyse, ein Interview, eine Flanke, Rassismus oder Futsal? Die hier angeführten Beispiele zeigen bereits: Es geht in unserem Verständnis von „schwierigen Begriffen“ nicht darum, dass wir (die Wissenschafter_innen) alles kennen und wissen und die Jugendlichen belehrt werden müssen, sondern es geht um unterschiedliche Wissensformen und unterschiedliches Expert_innentum, das in einer gemeinsamen Forschung zu einem gemeinsamen Wissenspool führen kann.

In der Forschungsgruppe die zum Thema Fußball forschte, versuchten wir mit Hilfe einer so genannten Begriffebox (einer kleinen Karteibox mit Einschüben zur alphabetischen Ordnung), sowohl die sozialwissenschaftliche als auch die fußballbezogene Sprachwelt in den Griff zu bekommen. Immer dann, wenn im Rahmen von Gesprächen, Interviews, Internetrecherchen oder beim Lesen von Zeitschriftenartikeln Fragen bezüglich spezieller Begriffe auftauchten, wurden diese auf eine Karteikarte geschrieben. Was ist Homophobie, Sexismus, Migration, eine Ecke, eine Analyse? Diese Beispiele zeigen, dass es nichts gibt, das als Wissen vorausgesetzt werden kann und muss. Niemand muss alles wissen, (nach)fragen ist jeder Zeit erlaubt. In der Projektgruppe wurde die Praxis des Gespräch- Unterbrechens, und Begriffe-Schreibens mit der Zeit zu einer Selbstverständlichkeit.

 

Abb. 1: Begriffebox

 

Teilweise war es möglich diese Begriffe sehr schnell zu klären (wenn diese zum Beispiel ein Gruppenmitglied erklären konnte), manches mal war allerdings auch eine (Internet-)Recherche (z.B. über Wikipedia, Queeropedia, oder eben der Beitrag von Gendertalk zu Sexismus) oder die Befragung von Expert_innen notwendig).

Immer dann, wenn Erklärungen für einen Begriff gefunden waren, schrieben oder zeichneten wir diese auf die Karteikarten.

Abb. 2: Begriffebox

 

Wir stellten jedoch öfters fest, dass es für manche Begriffe ganz verschiedene Erklärungen gibt, je nach dem von wem oder in welchem Zusammenhang der Begriff erklärt wird. Darauf hin begannen wir, unterschiedliche – wissenschaftliche, lexikalische oder auch persönliche – Erklärungen für dieselben Begriffe zu sammeln.

Abb. 3: Begriffebox

  

Durch diese Vorgehensweise fand eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Umgang mit Fachvokabular, aber auch (und fast noch wichtiger!) mit der Tätigkeit des Erzeugens von Wissen und Information statt. Wir diskutierten darüber, dass es nicht selbstverständlich ist Fachbegriffe zu verstehen, dass diese nicht immer eindeutig definiert, sondern großteils mehrdeutig sind und dass sie immer in ganz speziellen zeitlich/historischen und kulturellen Kontexten verortet sind. Den Jugendlichen machte es viel Spaß sich mit „eigenartigen“ Begriffen auseinander zu setzen und heraus zu finden, was diese bedeuten könnten. Dabei war es stets wichtig unterschiedliche Erklärungen neben einander stehen zu lassen. Es ging also nicht darum zu bewerten, welche Erklärung richtig oder falsch ist, sondern sich mit der Vielfalt an Bedeutungen von scheinbar eindeutig definierten Begriffen auseinander zu setzen.

Mit dieser Vorgehensweise können Nachdenk- und Lernprozesse in der Gruppe gut nachvollzogen und begleitet werden. Außerdem zeigt sich die Komplexität von Wissenschaft bzw. von Fachsprache im Allgemeinen. Was uns außerdem daran interessiert ist, dass mittlerweile mehr und mehr Lexika und Einführungsbücher dazu übergehen, mehrere Definitionen von Begriffen zuzulassen, d.h. die Vielfalt an Bedeutungen einzelner Begriffe nicht zu nivellieren oder sich für eine Darstellungsweise zu entscheiden und die anderen zu verschweigen, sondern mehrere Bedeutungen gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Das Lexikon- Projekt „Queeropedia“ ist ein gutes Beispiel dafür oder auch das bereits weiter oben angeführte Beispiel zu Sexismus.

Eine Gruppe beschäftigte sich zum Beispiel einen Großteil der Projektwoche mit dem Begriff Sexismus. Auf diesen waren sie im Rahmen ihrer Recherche zum Thema Frauen im Fußball gestoßen. Zu Beginn stand einzig und allein der Begriff Sexismus auf der Karteikarte. Nach ersten Recherchen füllte sich die Karte mit Erklärungen.

Da es sich bei Sexismus jedoch vielmehr um ein Thema handelte als nur um einen Begriff, weitete sich die Auseinandersetzung aus und wurde letztendlich zu einem zentralen Thema in der Forschungsgruppe, die sich mit Frauen im Fußball beschäftigte. Die Begriffebox war hierbei nur eine Anregung um sich mit dem Begriff Sexismus intensiver auseinander zu setzen. Im Laufe des Projekts kam es zu einem

„Anwachsen“ von Bedeutung(en) und auch zu einer Verschiebung vom anfänglichen Alltagsverständnis „Kein Sexismus“ wäre eine Ablehnung von „Sex“, hin zu einem Verständnis darüber, dass es dabei um Ausgrenzung, Minderbewertung oder Ungleichbehandlung von Frauen gehe. Dieses Verständnis behielten die Mädchen, die sich mit dem Thema auseinandersetzten auch bei als es zu späteren Zeitpunkten zu Diskussionen mit Klassenkolleg_innen kam, die diesen Forschungsprozess nicht mitgemacht hatten.

 

Musterdesign

 

Was Interview – Entwicklung von Fragen
Wann
Wo
Wer

 

 

Material

  • Forschungstagebücher für jede_n Schüler_in und die Forscher_innen
  • Plakate, Stifte
  • Wollknäuel
  • Aufnahmegerät
  • Informationsmaterial über die Institution, Organisation, Person

 

Ziele, Haltungen, zu vermittelnde Ideen

  • Fragen an Interviewperson entwickeln und sichern

 

 

Was Material/Anm.
Begrüßung Fotoapparat, Aufnahmegerät
Diskussion über die Institution/Organisation (z.B. Universität oder Fußballverein) bzw. den weiteren Kontext (z.B. Geschichtswissenschaft oder Frauenfußball) aus der die zu interviewende Person (im weiteren „Person X“) stammt. Je nachdem auf was im Interview fokussiert werden soll, sollen den Schüler_innen hier Rahmenbedingungen, institutionelle oder inhaltliche Hintergründe bekannt gemacht werden. ev. Informations- material
Wollknäuel-Netzspiel: Eine Person hält ein Ende des Wollfadens und stellt eine Frage, die sie im Interview gerne von der Person beantwortet hätte, danach wirft sie das Wollknäuel weiter mit der Frage: Und was möchtest du von der Person X wissen? Der/die nächste Schüler_in stellt ihre Frage und wirft weiter. Es soll mindestens eine Runde gespielt werden, es können auch 3-4 Runden sein. Parallel dazu schreibt ein_e Forscher_in die Fragen, die genannt werden auf ein Plakat mit. Wollknäuel Plakate
Nach dem Spiel soll jede_r die für sie oder ihn wichtigsten Fragen ins Forschungstagebuch schreiben. Forschungs- tagebuch
Wenn besonders viele Fragen zustande kamen bzw. aus sonst einem Grund Fragen für das Interview aus diesem Pool ausgewählt werden sollen, können nun auf Basis der Tagebucheintragungen jene Fragen ermittelt werden, die die meisten Schüler_innen beschäftigen: Jede_r klebt jeweils einen Punkt zu den drei für ihn/sie wichtigsten auf das Plakat. Die Fragen mit den meisten Punkten werden ausgewählt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Science Communications Research

 

 

Was Rollenspiel zum Unterrichtsalltag
Ziele/ Inhalte Darstellung der Unterrichtskultur Klassenkultur und -dynamik bearbeiten

Sensibilisierung von Wir-Beschreibungen und Selbstreflexion ermöglichen

Zeit ca. 2, 5 Stunden
Wo Klassenzimmer der Gruppenraum mit Tischen und Sessel
Wer 18-20, aber mind. 8 Schüler_innen und 2 Forscher_innen

 

 

Vor Ort

  • Platz schaffen, Tische grob zusammenrücken
  • Tonbandgerät einschalten
  • Fotoapparat bereit legen

 

 

Haltungen

 

  • Selbstbestimmte Handlungsfähigkeit herstellen: Forschen bedeutet auch die Dinge, die man selbst wissen will,
  • Es geht nicht darum den Schüler_innen beizubringen was Sozialwissenschaft ist, sondern gemeinsam die Themen herauszufinden zu welchen wir Wissen generieren
  • Nicht zu viel Information, dafür viel Struktur und klare Leitung!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Science Communications Research

 

 

Zeit Inhalt Setting/ Methode Material/Anmerkung
12′ •       Gemeinsam die Klasse umbauen: Tische wegrücken, Sesselkreis aufstellen

 

•       Hinsetzen und eröffnen

Alle gemeinsam

 

 

 

Sesselkreis

Stimmungsbarometerpla- kat und Stifte
3` Ausblick: „Heute haben wir komplizierte/schwierige Sachen mit euch vor: Zu- erst müsst ihr als Gruppe einen Zauberstab zu Boden bringen, dann spre- chen wir darüber was wir das letzte Mal gemacht haben. Das Hauptaugen- merk liegt darauf, was eigentlich so in der Schule passiert, und heute wollen wir diese Frage mit einem Rollenspiel bearbeiten“ Input Flip mit Tagesablauf
10` 1) Zauberstab oder „schwebender Stab“ (siehe Heckmair, Bernd (2005): Konstruktiv lernen. Projekte und Szenarien für erlebnisintensive Seminare und Workshops. Beltz) ist eine Kooperationsübung in der sich die Gruppe in zwei sich mit dem Gesicht gegenüber stehende Reihen aufteilt und einen Stab waagrecht auf den Fingerspitzen balanciert, um ihn gemeinsam auf dem Boden abzulegen. Die Regel dabei ist, dass jedes Gruppenmitglied im- mer in Berührung mit dem Stab sein muss und es nicht erlaubt ist, den Pin- zetten-Griff zu nutzen. (Das Besondere an dieser Aufgabe ist, dass sich der Stab wider erwarten eher nach oben bewegt, als dass er sich einfach auf den Boden legen lässt.) Anleitung

 

 

 

Gruppe löst die Aufgabe allein, ohne Un- terstützung durch die Leitung

„Zauberstab“:

 

3-5 m langer Bambus- stab, Zeltstange, oder zwei Pinnwandrollen längs zusammengerollt und ineinander gescho- ben.

 

Bei kleineren Gruppen (bis 12 Pers.) kann ein Zollstab (2m) verwendet werden

10′ Auflösung (kurz): Wie hat das nun funktioniert? Wie habt ihr zusammengear- beitet? Wer hat die Situation wie erlebt? Wie zufrieden seid ihr mit dem Er- gebnis? (Erfahrungswert bei Erwachsenen: umso besser je stiller und kon- zentrierter; Kommandostruktur hinderlich!) Plenum (Sesselkreis)

 

 

Science Communications Research

 

 

15′ Andocken an das letzte Mal und alle informieren: Was ist das letzte Mal pas- siert? Was haben wir da gemacht? Woran könnt ihr euch erinnern? Moderation im Plenum ev. mitschreiben an der Tafel oder Flip
5′ Ein Rollenspiel:

 

•       Der Beginn einer Schulstunde

 

•       Pause im Konferenzzimmer

 

•       Mädchen (und/oder Buben) in der Pause

 

(je nach Gruppengröße und Zeit kann nur ein Thema vorgegeben werden oder die Gruppe, die spielt, sucht ein Thema aus oder es können (in einer größeren Gruppe) 2 Themen gespielt werden.)

Anleitung und Einteilung der agierenden und beobachtenden Teilgruppen Tafel oder Flip
15′ 2 begleitete Gruppen zur Vorbereitung:

 

•       6 -10 Spieler_innen: Wer spielt Lehrer_in und wie lege ich die Rolle an? Rollenausdifferenzierung auch für die die die Schüler_innen spielen. Spieler_innen werden darin gecoacht wie sie ihre Rollen an- legen (damit ausgewogener Klassenverband entsteht)

 

•       Beobachter_innen: Interaktive Erarbeitung davon was und wie be- obachtet werden kann. Wie verhalte ich mich bei der Beobachtung? keine Störungen von außen (Lacher, Kommentare, …), sich so hin- setzen, dass man gut sieht, aber den Raum der Spielenden nicht beschränkt. Beobachtung = unauffällig.

Was kann ich beobachten?: Man kann beobachten, wie z.B. ein Thema gemacht wird, wie Personen sich gegenseitig unterstützen oder konkurrenzieren. Was jemand tut und welche Körpersprache er/sie einsetzt. Man kann sich auf den gesamten Prozess konzen- trieren oder auf einzelne Unterpunkte (z. B. Nur die/den Lehrer_in

Spieler_innen bleiben in der Klassen und bauen sich ihre Bühnenklasse um.

 

Beobachter_innen ziehen aus und berei- ten sich in der Nähe der Klasse vor.

 

Beide Teilgruppen werden von je einer erwachsenen Person (Forscher_in oder Lehrer_in) betreut.

ev. persönliche Unterla- gen (was zum Mitschrei- ben) für den Fall das sich jemand Notizen für seine Rolle machen möchte

 

 

Science Communications Research

 

 

oder eine_n Schüler_in beobachten,…). Nach dieser allgemeinen Erarbeitung mit der ganzen Kleingruppe, wird jedeR gecoacht, sei- nen/ihren Beobachtungsauftrag zu definieren.
15′ Durchführung des Rollenspiels Klassenzimmer wird als Bühne genutzt. Moderation ist die Person, die Spieler_innen eingekleidet hat, damit sich die andere erwachsene Person auf ihren Beobachtungsauftrag konzentrie- ren kann: Moderator_in gibt Beginn und Ende des Spiels klar vor ( z.B. durch Läuten der „Schulglocke“) Uhr, ev. Pausenglocke,
10′ Rückmeldung aus der Rolle:

 

•       Wie war es für mich diese Rolle zu spielen? Wie ist es mir ergan- gen? hab ich mich gefühlt?

Moderator_in weist Reihenfolge der Auf- lösung zu. Spieler_innen verlassen die Spielsituation erst nach ihrer Rückmel- dung. Aufforderung die gespielte Rolle auch wieder „abzuschütteln“
15′ Wahrnehmung und Feedback der Beobachter_innen

 

•       Was hat funktioniert?

 

•       Was ist nicht gelungen?

 

•       Warum?

Erwachsene_r mit Beobachtungsauftrag gibt seine/ihre Rückmeldungen als letze_r ab
20′ Diskussion, mit dem Schwerpunkt wie sehr das Gespielte auch reale Situa- tionen aus ihrem Schulalltag beschreibt. Moderiertes Plenum

 

 

 

 

 

Science Communications Research

 

 

10′ Eintrag ins Forschungstagebuch:

 

•       Was ist heute passiert?

 

•       Habe ich was gelernt/geforscht?

 

•       Wie hat es mir heute gefallen?

Einzelarbeit Fragen auf der Tafel ver- schriftlichen

 

Forschungstagebücher

5′ Stimmungsbarometer ausfüllen

Teilnehmer_innen visualisieren ihre momentane Befindlichkeit/ Stimmungs- lage auf einem Plakat. Vorgezeichnet ist ein Koordinatensystem (oder eine Tabelle), wobei die x-Achse chronologisch ist (z. B. Jedes Arbeitstreffen = eine Einheit oder Beginn und Ende jedes Arbeitstreffen = eine Einheit,…) und die y-Achse die Stimmungslage misst (z. B.: vom gewittrigen Schlecht- wetter, über bewölktes und regnerisches Wetter zum Sonnenschein, oder: auch %-Skala)

Plakat wird im Raum aufgehängt; Anlei- tung, dass jedeR sich mit einem Icon/Symbol…. einträgt. Abstimmungsberechtigt Stifte

 

Beispiel Stimmungsbarometer:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Science Communications Research

 

 

Was Bildungsgrafen
Ziele/ Inhalte Forschungsdokumentation: was und wozu ist das? Warum ist das wichtig?

Bildungsbiographien,gegenseitiges Kennenlernen der Bildungswege, Eigenen Bezug zu Bildung und Bildungsinstitutionen reflektieren Gesellschaftliche Strukturen in individuellen Bildungsbiographien erkennen lernen

Zeit ca. 4 Stunden
Wo Gruppenraum mit Tischen und Sessel
Wer 2 Forscher_innen 8 Schüler_innen

 

 

Organisatorische Vorbereitung/ Materialien

  • großes Papier (Flip-Papier, Backpapier,Plakate)
  • Marker und Filzstifte
  • Ball für die Pause
  • Zeitschriften, Schere, Kleber
  • Aufnahmegerät, Fotoapparat

 

Inhaltliche Vorbereitung

  • Plakate vorschreiben
  • Übung „Meine Bildungsbiographie“ für sich selbst im Vorfeld erledigen und kurzweiligen und prägnanten Input in einfacher Sprache zur eige- nen Biografie vorbereiten
  • Forschungsliteratur zum Thema auswählen, B.:
    • Brake, Anna/ Bremer, Helmut (2010): Alltagswelt Die soziale Herstellung schulischer Wirklichkeiten. Weinheim/München. (Juventa)
    • Breidenstein, Georg/ Kelle, Helga (1998): Geschlechteralltag in der Schulklasse: ethnographische Studien zur Weinheim.
    • Faulstich-Wieland, Hannelore/ Weber, Martina/ Willems, Katharina (2004): Doing Gender im heutigen Schulalltag. Empirische Studien zur so- zialen Konstruktion von Geschlecht in schulischen Interaktionen. Weinheim/München.
    • Krappmann, Lothar/ Oswald, Hans (1995): Alltag der Beobachtungen und Analysen von Interaktionen und Sozialbeziehungen.

Weinheim.

  • Weber, Martina (2003): Heterogenität im Schulalltag: Konstruktion ethnischer und geschlechtlicher Unterschiede.

 

 

 

Science Communications Research

 

 

  • Weiss, Hilde (2007). Sozialstrukturelle Integration der zweiten In Weiss, Hilde (Hg.) Leben in zwei Welten: Zur sozialen Integrati- on ausländischer Jugendlicher der zweiten Generation (S.33-69). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

 

Haltungen

  • Aktiv Zuhören, sich für das Leben der anderen interessieren: als Regel gegenüber Schüler_innen einfordern
  • Klar moderieren
  • Wertschätzung dem einzelnen Kind gegenüber
  • Fingerspitzengefühl im Spannungsfeld zwischen biografischer (Erhebungs-)Methode und partizipativer Kodierungs- (Interpretations-)phase.

 

 

 

Zeit Was Materialien/ Anmerkungen
2′ Ausblick auf Heute: „Zuerst werden wir über die Dokumentation sprechen. Dann werden wir uns anschauen, wie gut euch eure Schulen bis jetzt gefallen haben und was ihr dabei so erlebt habt. Wir fragen, ob es Gemeinsamkeiten zwischen euch gibt und welche Unterschiede hier wichtig sind. Und wie immer fragen wir uns natürlich auch wie das, was wir hier machen, mit Sozialforschung zu tun hat. Deshalb haben wir auch heute wieder wissenschaftliche Bücher über Kinder in der Schule und Statistiken zur Schulbildung mit.“ Plakat zum Tagesablauf
13′ Rahmenbedingungen für unsere forschende Praxis:

Erklärung der Forschungsdokumentation:

Was ist das und warum ist das wichtig? Was und wie wird dokumentiert?

 

(Anonymisierung und Ethik: Ich darf nicht jede_n fotografieren, sondern muss nachfragen. Fotos werden nicht zusammen mit Namen veröffentlicht. Wenn jemand nicht aufgenommen werden will, muss ich das Tonband abstellen.)

 

•       Vergabe des Fotoapparates und des Aufnahmegerätes für heute an jeweils eine_n Schüler_in

Fotoapparat, Aufnahmegerät
25′ Einstieg ins Thema:

Einzelarbeit: Meine Bildungsgeschichte: Jede_r zeichnet seine/ihre bisherige Bildungsgeschichte

Grafen-Plakate für alle, Filzstifte, dickere und dünnere Marker

 

 

Science Communications Research

 

 

auf ein Grafen-Plakat, d.h. vom Kindergarten beginnend wird jede Schule, wo er/sie schon mal war eingezeichnet: Es soll sichtbar sein, wie lange er/sie an welcher Schule war und wie es ihm/ihr dort gefallen hat/was passiert ist. Es können auch andere (wichtige) Ereignisse im Leben die sich auf die Befindlichkeit auswirkten eingetragen werden. Jede_r erhält hierfür ein mind. A3 großes Papier, eventuell mit einem am Rand des Blattes vorgezeichneten Koordinatensystem: Längsachse: Be- wertung/Emotion (Wie gut hat mir das gefallen?); Querachse: Zeit (Alter)
15′ Kurze Pause und Ballspiel
40′ Gegenseitiges Vorstellen der Plakate und (Nach-)Fragen im Plenum:

•       Welche Schule war wann und wo?

•       Warum bin ich gerade dort hin gegangen?

•       Wie hat es mir gefallen?

•       Wäre etwas anderes auch möglich gewesen?

•       Wäre ich lieber woanders gewesen?

•       Warum und wann bin ich wieder weggegangen?

 

Alternative Präsentationsform (notwendig bei einer größeren Gruppe, da Kinder wenig „Sitzfleisch“ mitbringen), z. B. mit Galerie-Präsentationsmethode: die Bildergrafen werden im Raum aufgehängt und die Gruppe ergeht sich die Ausstellungsinhalte wie Galeriebesucher_innen, je nach Anleitung entweder alle gemeinsam oder sie erschließen sich den Inhalt alleine, in Paaren oder Peergruppen oder in wechselnden (auch thematischen )Gesprächsgruppen (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gale- riemethode)

10′ Kurze Klopause
15′ Erste Auswertungen, Interpretationen und wissenschaftliche Kontextualisierung

 

Vergleiche versuchen. Forscher_innen konzentrieren sich auf Brüche und Strukturen innerhalb der einzelnen Bildungswege und versuchen Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Interpretationen, Hy-

 

Science Communications Research

 

 

pothesen und Fragen werden formuliert und gesammelt. Welche Kurven gleichen sich? Gibt es ähn- liche Verläufe oder Wendungen? Welche einzelnen Punkte (Erlebnisse, Erfahrungen, Situationen) sind in den Grafen eingezeichnet und können nachgetragen werden?
20′ Bildungsverläufe sind nicht unbedingt etwas Lineares, es gibt Kurven und Bögen und man kann auch später noch etwas Neues beginnen. Für Sozialforschung sind Brüche und Stolpersteine wich- tige „Ereignisse“, denn hier zeigen sich Regeln (Was gilt (für wen) als normal?) besonders gut und es werden Fragen gestellt. Wissenschaftliche Literatur zum Thema einführen: Studien zum The- ma, die sich mit den Regelmäßigkeiten und Allgemeinen Strukturen hinter diesen persönlichen Le- bensläufen befassen Studien und Bücher zum Thema
5′ Forscher_innen zeigen ausgewählte Textstellen vor, die Bücher werden zum Durchblättern (und Kommentieren) in die Gruppe gereicht

 

Input: Wir können also sehen: Diese Kurven sind nicht zufällig so entstanden. Was haben meine Herkunft, mein Geschlecht, etc. damit zu tun?

Studien und Bücher zum Thema
15′ Murmelgruppen zu: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede machen bei uns einen Unter- schied? Mädchen-Junge, arm-reich, Österreicher_in – Ausländer_in,…?
30′ Pause: Essen, Trinken, Herumtollen mit Ball, etc.
30′ Ergebnissicherung: Gestaltung eines gemeinsamen Plakats, um die Diskussion zu sichern. Es können sowohl Ergebnisse verschriftlicht, als auch gezeichnet oder collagiert werden. Wie geht es Kindern unterschiedlicher Herkunft, etc. in der Schule? Was sind die Gemeinsamkeiten unserer Bil- dungswege? Was sind Besonderheiten und Spezialfälle? Plakat, Stifte, Ölkreiden, Zeitschriften, Schere, Kleber
10′ Wertschätzung, Nachfragen,…

 

(Welche Strukturen haben wir kennen gelernt? Welches Wissen haben wir gesammelt? Was hat mich irritiert? Woran möchte ich weiterarbeiten?….)

 

 

Science Communications Research

 

 

5′ Blitzlichtrunde: Wie hat es mir gefallen und wie geht`s mir jetzt? Ausblick auf das nächste Treffen und Verabschiedung.

Beenden der Dokumentation direkt mit den Doku-Kids: Wie war es, den Fotoapparat bzw. das Auf- nahmegerät zu bedienen? Was ist gut gelaufen? Was nicht so gut?

 

Sicherstellung dass alle Plakate und v.a. Produkte fotografiert sind. (ev. selbst ausführen)

Wurfmikrofon = Ball

 

 

 

Fotoapparat, Aufnahmegerät

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Science Communications Research

 

Glossar

 

Beobachtung (teilnehmende) – erklärt in Beobachtung (B)

 

Beobachtungsprotokoll

Das Beobachtungsprotokoll dient der Datenerhebung bei Beobachtungen, hier werden die wichtigsten beobachteten Daten festgehalten. Konkret ist es oft eine Reinschrift von Notizen, die im Feld bei der Beobachtung angefertigt wurden oder ein Gedächtnisprotokoll des Beobachteten.

 

Daten

„Angaben“ oder „Werte“, die etwas über bestimmte Personen bzw. gesellschaftliche Felder aussagen. Diese Angaben werden gesammelt („erhoben“), gesichert, und analysiert, um daraus Muster oder Systematiken über gesellschaftliche Zusammenhänge zu erkennen.

 

Datenanalyse

bedeutet das Bearbeiten und Interpretieren der gesammelten Daten in einer Form, die einer Beantwortung der Forschungsfrage näher kommt. Solche Analyseverfahren können beispielsweise Inhaltsanalysen von Texten sein oder statistische Berechnungen von Zahlenmaterial.

 

Datensicherung

bedeutet das dokumentieren und archivieren von erhobenen Daten. Konkret besteht die Datensicherung beispielsweise darin, Beobachtungsprotokolle in Reinschrift zu bringen, Audiofiles von Interviews abzuspeichern und Interviews zu transkribieren, erhobene Zahlen in Statistikprogramme einzugeben, etc.

 

Datenerhebung

bedeutet das Sammeln von Daten. Konkret kann dies beispielsweise durch das Durchführen von Interviews, von Recherchen oder von Beobachtungen erfolgen.

 

Flüchtigkeit von Gesprächen

Endet ein Gespräch so hinterlässt es, abseits der beteiligten Personen, nur wenige Spuren, die darauf hinweisen, dass ein Gespräch überhaupt stattgefunden haben könnte und noch weniger bleibt von dem was gesprochen wurde. Deshalb werden Gespräche im Rahmen von Forschungsarbeiten mit Aufnahmegeräten oder durch Protokolle festgehalten. Dadurch entstehen Daten.

 

Feld/ Forschungsfeld

Ein bestimmtes soziales Umfeld, das in einer sozialwissenschaftlichen Forschung genauer untersucht werden soll.

 

Fragebogen – SI

 

Grounded Theory

(zu deutsch etwa „gegenstandsbezogene Theoriebildung“). Von den US- amerikanischen Medizinsoziologen Barney Glaser und Anselm Strauss geprägter sozialwissenschaftlicher Ansatz an empirische Sozialforschung. Dabei soll eine

 

systematische Auswertung von Daten zur Generierung neuer Theorien führen. Die Grounded Theory ist weder auf qualitative noch quantitative Sozialforschung beschränkt und kann mit verschiedenen Methoden verfolgt werden.

Glaser und Strauss beschreiben den „zyklischen Forschungsprozess“ als konstitutiv für ihre Herangehensweise, d.h. eine Forschung durchläuft den Kreislauf von Datenerhebung, Datensicherung und Datenanalyse nicht nur einmal, sondern mehrmals, wenn sie den Anspruch hat, fundierte Theorien aufzustellen.

 

Hypothese

Annahme über einen Zusammenhang. In den Sozialwissenschaften geht es dabei um gesellschaftliche Zusammenhänge. Diese angenommenen Zusammenhänge sind wichtig, um Forschungsfragen formulieren, Theorien aufstellen oder weiterentwickeln zu können. Bewährte bzw. bestätigte Hypothesen werden zu Theorien.

Interview – erklärt in „Interviews durchführen“ (Id) Leitfaden

Vor dem Interview wird überlegt, welche Fragen an die befragte Person gestellt werden könnten. Was will ich wissen? Diese Fragen werden aufgeschrieben und dienen in der Folge als Leitfaden für das Interview. Der Leitfaden soll dazu dienen den Befragten zum Erzählen anzuregen, das Gespräch zu leiten wenn es ins Stocken gerät oder ihm bei einer unergiebigen Thematik einen neuen Impuls zu geben.

 

Paradigma

„wissenschaftliche Schule“ oder „Herangehensweise“. Oft wird Paradigma als

„Lehrmeinung“ verstanden. Forscher_innen eines Paradigmas vertreten einen gemeinsamen Satz von Vorgehensweisen, teilen bestimmte Prämissen (Annahmen) darüber, was Forschung ist und wie sie zustande kommen soll, beispielsweise darüber was überhaupt beobachtet und überprüft wird, welche Art von Forschungsfragen gestellt werden oder wie die erhobenen Daten interpretiert werden sollen.

 

Partizipative Sozialforschung

Eine Herangehensweise in der Forschung, die die Personen des Forschungsfeldes, die sonst oftmals nur die „Beforschten“ sind, als Wissende und „Ko-Forscher_innen“ ernst nimmt. D.h. die Ko-Forscher_innen werden in jede Phase der Forschung als Forschende einbezogen. Das beginnt damit, dass die Forschungsfragen zumeist von diesen selbst formuliert werden und endet bei einer gemeinsamen Erarbeitung der Umsetzung der Forschungsergebnisse. Die Wissenschafter_innen stellen ihr Fachwissen zur Verfügung und dienen als Coaches des gemeinsamen Forschungsprozesses.

 

Qualitative Sozialforschung

Herangehensweise in der empirischen Sozialforschung, die in Abgrenzung zum quantitativen Paradigma entwickelt wurde. Es wird davon ausgegangen, dass Forschung immer subjektiv ist und nie völlig wertneutral sein kann, dass es aber darauf ankommt, bewusst und selbstreflexiv damit umzugehen. Wichtig ist dabei, den eigenen Einfluss auf das Forschungsfeld und auf die Forschungsergebnisse mit zu erheben und zu analysieren.

 

Qualitative Sozialforschung funktioniert oft „explorativ“, d.h. es werden keine bestehenden Hypothesen geprüft, sondern es sollen neue Zusammenhänge herausgefunden werden. Daher werden Forschungsfragen oft recht breit gestellt, um möglichst offen an das Forschungsfeld heranzugehen.

 

Quantitative Sozialforschung

Herangehensweise in der empirischen Sozialforschung, in der vorwiegend mit gut quantifizierbaren Daten, d.h. zumeist mit standardisierten Fragebögen und statistischen Verfahren gearbeitet wird. Wichtig ist die Frage der Repräsentativität der Stichprobe und damit auch der Stichprobenauswahl.

In der quantitativen Sozialforschung wird versucht, den Einfluss eines/r einzelnen Forscher_in in der Datenerhebung sowie in der Datenanalyse möglichst gering zu halten. In dieser Form der Forschung wird oft „deduktiv“ vorgegangen, d.h. „vom Allgemeinen zum Besonderen schließend“. Dabei geht der/die Forscher_in zunächst von einer Hypothese aus und formuliert eine Forschungsfrage, mit der er/sie diesen Zusammenhang überprüfen kann.

 

Repräsentativität

Die Ergebnisse, die in einer kleineren Gruppe von Personen herausgearbeitet wurden, müssen auf die ganze „Grundgesamtheit“, für die die Fragestellung formuliert ist, übertragbar sein. Die Grundgesamtheit ist die Menge all jener Personen, die mit der Forschungsfrage erfasst werden. Im Falle einer Wahlhochrechnung in Österreich umfasst die Grundgesamtheit beispielsweise alle wahlberechtigten Personen Österreichs. Im Falle einer Berechnung des Erwerbseinkommens von Studierenden, alle in Österreich an (Fach-)Hochschulen studierenden Personen.

 

Reliabilität

(„Zuverlässigkeit“) Eine Untersuchung muss unter gleichen Bedingungen auch von einer/m anderen Forscher_in zu den gleichen Ergebnissen führen. Angestrebt wird also die Wiederholbarkeit der Ergebnisse unter gleichen Bedingungen.

 

Validität

(„Gültigkeit“) Eine Methode und Untersuchungsanordnung müssen daraufhin überprüft werden müssen, ob sie auch das messen, was gemessen werden soll. Gefragt wird danach, ob die Forschungsmethode zur Forschungsfrage passt. Misst ein Fragebogen beispielsweise wirklich das, was er zu messen vorgibt? So können beispielsweise mit Interviews nicht die Handlungen der beforschten Personen, mit Beobachtungen nicht deren Intentionen erhoben werden.