Partizipative Gedanken von Karin Schneider

In der Nachschau gliedert sich für mich das Projekt in vier Phasen der Arbeit mit den Kindern, die ich auch jeweils ganz anders erlebt habe: Zunächst mal in der Schule vor der ganzen Klasse, dann in den Kleingruppen, dann in der Projektwoche und zum Schluss das Hineinwachsen in die informelle Zusammenarbeit mit einigen wenigen Kindern rund um die Gestaltung der Homepage.

Die erste Phase war davon geprägt, dass wir alle 14 Tage in unterschiedlichsten Teamzusammensetzungen in die Schule kamen. Die zweite von einem Arbeiten in drei Kleingruppen zu unterschiedlichen Themen, welche sich aus einer Befragung der Kinder herauskristallisierten.  Die von mir betreute Gruppe bestand aus drei Mädchen, die mit mir (und meist klar unter meiner Moderation) zum Thema „Liebesorte in der Schule“ forschten. Sie dient mir vor allem als Beispiel dafür, wie ich im Projekt einige Fragen als partizipativ beschreiben würde, da sich in dieser Forschungsphase einige Dinge für mich am deutlichsten zeigten und diese anhand des Datenmaterials gut nachvollziehbar sind – dies liegt auch daran, dass ich selbst mit dieser Gruppe am intensivsten gearbeitet habe. Daher werde ich auf Phase 1 und Phase 3 in diesem Text nur kontextualisierend eingehen.

Beim ersten Treffen mit den Schüler_innen kam noch das ganze Team der Forscher_innen gemeinsam in die Klasse. Ich kann mich erinnern, dass wir viel darüber nachgedacht haben, wie wir den Kindern Forschung nahe bringen können. Im Nachhinein hat sich das dann für mich immer mehr zur Frage hin verschoben, was wir mit den Kindern eigentlich beforschen wollen. Ich kann das nicht für alle setzen, würde für mich jedoch recht klar als Ergebnis sehen, dass eine Einführung in allgemeine Forschungsmethoden abstrakt ist und bleibt; ohne konkrete Forschungsfrage, so meine Lernerfahrung, kann auch nicht vermittelt werden, wozu die einzelnen Methoden angewandt werden sollen. Das Entwickeln einer Forschungsfrage war in unserem Projekt mindestens genauso schwierig, wie das oft im Forschungsalltag der Fall ist.

Zur Entstehung der Forschungsgruppe „Liebesorte in der Schule“:
Das erste Mal kam das Wort „Liebesorte“ auf, als Mavi und Susanne mich gleich am ersten Tag auf unsere Bitte hin durch die Schule führten. Ich hatte nie vor aus diesem vielleicht auch etwas surreal klingenden Begriff eine Forschungsgruppe zu machen; es war vielmehr eine spontane Bezeichnung zu verschiedenen Geschichten, die mir vor allem Susanne darüber erzählte, wer sich wo begegnen könnte. Im Nachhinein finde ich es etwas erstaunlich, dass ich selber nicht von „Freundschaftsorten“ sprach – bei einer Nachbesprechung mit der Lehrerin kam von dieser der Hinweis, dass es in der Schule wohl wesentlich mehr „Aggressionsorte“ als „Liebesorte“ geben würde und dass sich prinzipiell wenig Orte in der Schule finden, an welchen sich Kinder allein begegnen könnten. Genau in diese Richtung entwickelte sich das kleine Forschungsprojekt der Gruppe „Liebesorte“: Von der Liebe weg zu den Konflikten unter Mädchen und unter verschiedenen Kindergruppen bzw. zu der Frage nach dem Beobachten und Beobachtet-werden in der Schule (s.u.) (siehe den Beitrag in der Methodenbox „Beobachtung in der Schule“# link setzen)

Nach wie vor interessant finde ich die Fragestellung, die sich in meinem Kopf da plötzlich zusammenbraute – danach, ob und wo es in der Schule Orte und Nischen gibt, in welchen etwas passiert, das viel mit den Kindern untereinander zutun hat und weniger mit dem Unterricht und das trotzdem auch „Schule“ ausmacht.

Ein Thema wird gefunden: laute & leise Kontinuitäten

Für mich ist rückblickend auch die Kontinuität erstaunlich: Ich bin mit Mavi und Susanne durch die Schule gegangen, habe über diese „heimlichen“ Orte gesprochen und mit denselben beiden Mädchen dann eine Forschungsgruppe genau zu diesem Thema gemacht (das dritte Mädchen war Asly, die nicht beim ersten Spaziergang dabei war; die Konflikte unter den Mädchen (s.u.), die auch in der Forschungsgruppe Thema waren, betrafen aber vor allem Mavi und Susanne). Erstaunlich ist das aber nur auf den ersten Blick. Wenn ich genauer darüber nachdenke, dann erinnere ich mich wieder, dass Susanne ja gesagt hat, dass sie das Thema interessiert und dass sie was dazu machen möchte und dass sie auch daran beteiligt war, dass es überhaupt zu dem Thema kam.
Mavi hat dies mit Susanne gemeinsam gesetzt, zumindest dem äußeren Anschein nach. Dass Asly hier eigentlich nicht „ihr“ Thema fand – sie hätte gerne zu Migration gearbeitet, für diese Gruppe fanden sich dann aber keine weiteren Teilnehmenden – hatte sie auch von Anfang an gesagt. In der nachfolgenden Projektphase machte sie ihr Interesse wieder stark und letztendlich ist ihr Beitrag auf der Homepage zu dem Thema Mädchen-Migration zustande gekommen; auch hier gab es also eine Kontinuität, die wir im Trubel nicht unbedingt wahrnehmen konnten.

Während mir also das erste und das zweite Semester mit ihren unterschiedlichen Strukturen als sehr zerklüftet vorkamen, fast ohne Bezug zu einander, war dies wohl aus dem Blick einiger Kinder nicht unbedingt der Fall. Zumindest schafften es diese Mädchen „ihr“ Thema zu finden, (sogleich oder ‚in the long run‘) gut zu platzieren und in eine neue Projektphase zu transformieren. Jetzt könnte mensch einwenden, dass dies nicht besonders erstaunlich ist, da doch „Liebe“ das Thema früh-pubertärer Mädchen sei. Ich würde auf diesen Einwand antworten, dass dies gewiss richtig ist, jedoch nichts daran ändert, dass hier ein partizipativer Prozess in Gang gesetzt wurde, dieses Thema ein ganzes Semester lang zum Thema einer Forschungsgruppe zu machen, obwohl es nicht im Projektantrag vorgesehen war. Genau weil es das Thema der Mädchen ist, ist es für mich ein gutes Beispiel dafür, wie es in einem gelungenen partiziativen Prozess möglich sein kann, dass sich Jugendliche in ein Forschungsdesign hineinreklamieren bzw. das Forschungssetting für die Abhandlung und Schärfung ihrer Fragestellungen benutzen. Es waren in diesem Fall also nicht primär die Forscher_innen, die eine bestimmte Fragestellung an die Kinder herantrugen. Gleichzeitig waren die Forscherinnen sehr wohl daran beteiligt, dass aus diffusen Ideen der Kinder Forschungsfragen wurden oder dass sie überhaupt ihre Ideen, Interessen oder Desinteressen formulierten: Kurzgesagt, wir stellten unser Wissen dafür zur Verfügung, Ideen zu bündeln, sie zu (mehr oder weniger) bearbeitbaren Fragen zu verdichten, Ideen zu dokumentieren, ernst zu nehmen, aufzugreifen und weiter zu verfolgen. An diesem Punkt würde ich partizipatives Arbeiten feststellen: Als Prozess, den Forscher_innen und Jugendliche betreiben, und in welchem Forscher_innen ihr Wissen zur Verfügung stellen, damit in den Raum hinein gesagte Ideen Gestalt bekommen können. Dies ist jedoch – wohlgemerkt – ein Verständnis, dass aus dem eigenen Prozess entstand und nicht eines mit dem wir in den Prozess hineingingen.

Thema: Verschiebungen und Verdichtungen

Immer dann, wenn Susanne nicht da war, erzählte nicht nur Asly, sondern auch Mavi, dass das Thema „Liebe“ eigentlich gar nicht ihr Thema sei, sondern von Susanne alleine eingebracht wurde. Unter anderem daran wurde ein Konflikt mit Susanne festgemacht und da sie lange Zeit nicht da war, entwickelte sich daraus selbst eine zentrale Forschungsfrage. Das Thema verschob sich also von den „Liebesorten“ hin zu Beziehungen und Konflikten von Mädchen untereinander (auch zwischen jenen in der Gruppe), aber auch zu anderen Beziehungs- und Konfliktlinien, z.B.: Wer kommt wo her?, Wer lacht wen aus?, Wie werden Mädchen mit Kopftuch, wie Romamädchen wahrgenommen? und Wie sehen sie sich selbst? Susanne selbst blieb – als sie gegen Ende des Semesters wieder anwesend war – bei ihrer Frage und interviewte einen Jungen aus der Forschungsgruppe „(K)ein Platz für Jungs“ und stellte erstaunt fest bzw. analysierte, dass Buben keinen Ort haben, ihre Gefühle zu äußern, weil ihr Ort die ganze Welt sei. Mädchen würden ihrerseits immer über ihre Gefühle sprechen und dadurch von diesen auch nicht loskommen. Hier hat sich, salopp gesagt, das Thema verdichtet – aus unklaren „Liebesorten“ wurden präzise Fragestellungen, und Wahrnehmungen zu Genderdifferenzen in Bezug auf das Thema. Diese würden freilich in einem weiteren Schritt genauer beobachtet und wieder hinterfragt werden (# zyklisches Forschen). Da wir für einen solchen Schritt in einem „probehaften“ und durch Schulstruktur (# link) gekennzeichneten Forschungsdurchgang keine Zeit hatten (oder auch gar nicht damit rechneten mit Einzelnen soweit zu kommen?) blieben die Ergebnisse fragmentarisch. Dennoch (und das war ja unser Hauptinteresse in diesem Fall) fanden Verläufe statt, die für qualitative Sozialforschungsprozesse kennzeichnend sind:

Ein wichtiger Bestandteil jedes zyklischen Forschungsprozess  ist, dass sich die konkrete Forschungsfrage fokussiert. Dies geschieht meist in einem Prozess, in dem das zunächst oft sehr allgemeine Thema Gestalt annimmt, größer und kleiner, dicker und dünner wird und sich durch neue, in der Empirie gewonnene Sichtweisen verändert und verschiebt. Die Fragestellung zentriert sich, schält sich heraus, das Thema wird dichter, erste Thesen werden auf Grundlage von empirischen Erfahrungen gebildet und wieder verworfen.
Beides, das Finden des Themas und die Verschiebung des Themas, waren für mich ein partizipativer Prozess und es ist an diesem Beispiel gut zu sehen, dass dabei „die Kinder“ keine Einheit bilden, sondern auch verschiedene Rollen, Positionen, Forschungsinteressen untereinander formulieren. So wird (slowly, slowly) aus einer Setzung „Forschung mit Jugendlichen“ eine Forschungsgruppe, in der unterschiedliche Interessen platz haben und auf Basis gemeinsamer Erhebungen potenziell bearbeitbar werden.

Vorgeschichte

Das erste Semester in der Klasse war für mich sehr stark von einem immer-wieder-versuchen geprägt und von einem relativen noch-nicht-wissen wohin es gehen soll. Zumindest sehe ich es im Nachhinein so, da wir die Erfahrung von Arbeitsgruppen hatten, die zu ganz klaren Themen arbeiteten. Da wir in unserem Antrag schrieben, dass die Kinder zunächst einmal die Schule beforschen (um dann zu einem, im Projektantrag formulierten „Biomodell“-Labor zu gehen) und Methoden der qualitativen Sozialforschung lernen sollten, waren das die Schwerpunkte unserer Interventionen im ersten Semester. Im Nachhinein denke ich mir, dass mir/uns gar nicht aufgefallen ist, dass das riesengroße Themen sind – außerdem sind sie zu nah an und zugleich zu weit weg von ihrem alltäglichen Leben. Aber vielleicht wäre es egal gewesen, was wir am Anfang gemacht hätten, es wäre immer die Phase des sich erst einmal Orientierens für uns an dem für uns so fremden Ort gewesen, und für die Kinder und die Lehrerin, des Orientierens an dem Forschungsprojekt. Für mich war, wieder im Nachhinein, die erste Phase weniger von „Partizipation“ – also dem mit den Kindern etwas zu entwickeln – geprägt, als von einer Art „Unterricht“ ohne Unterrichtserfahrung unsererseits und das machte auch oft Unruhe und Chaos an Stellen, die wir gar nicht wollten. Das war zumindest das Feedback der Lehrerin und auch ich habe, wenn ich an das erste Semester denke, ein Wort im Kopf: „Laut“.

Dennoch gab es auch in dieser Phase Momente, die ich als partizipativ bezeichnen würde. Die Frage, die sich im Nachhinein für mich dabei stellt ist, ob uns in Ansätzen gelungen ist, in ein gemeinsames Forschen zu kommen (# verlinken), obwohl wir das in der ersten Phase noch nicht direkt mit ihnen vorhatten. In meinem Fall lag das daran, dass ich noch keine geschärfte Idee davon hatte, dass ein Miteinander-tun immer dann am Besten gelingt, wenn es eine ganz konkrete und nicht zu große Fragestellung/Aufgabe gibt, die allen „unter den Nägeln brennt“ oder zumindest, die alle interessiert oder angeht. Im Schulkontext zeigt sich auch die Schwierigkeit, dass Schüler_innen oft nicht gewohnt sind, das, was sie angeht, hier auch einzubringen. Vielmehr werden sie angehalten sich (mehr oder weniger) dafür zu interessieren, was in der Schule vorgebracht wird (#veronika text). Weiters stellt sich die Frage was „alle“ in diesem Zusammenhang bedeutet? Zumindest legen die weiteren Projektphasen nahe, dass die gesamte Klasse ein zu großer Kontext für ein partizipatives Forschungsvorhaben ist.

Dennoch gab es auch im ersten Semester immer wieder Situationen, die ich als Ansätze gemeinsames Forschen verstehen würde. Diese wurden dann aber nicht weiter verfolgt, da wir zu dieser Zeit noch mit der ganzen Klasse und zu immer unterschiedlicheren Themen arbeiteten, aber vor allem, da zumindest ich zu diesem Zeitpunkt diese kleinen Sequenzen gar nicht danach beurteilte, ob es gute Forschungsansätze wären. Diese Haltung lernte ich dann erst „by doing“ in den folgenden Kleingruppen.
Eine solche Sequenz gemeinsamen Forschens bereits im ersten Semester, wäre für mich beispielsweise die eines durchgeführten Rollenspiels:

Wir teilten die Klasse in zwei Gruppen. Während die eine Gruppe eine Klassensituation spielte, wurde sie von der anderen dabei beobachtet. Gespielt wurde eine Klassensituation unmittelbar bei Stundenbeginn. Die Lehrerin wurde von Peter gespielt, die tatsächliche Lehrerin spielte einen schlimmen Schüler; Asly, ein braves Mädchen, spielte sich selbst, zwei Mädchen spielten „Klassenkasperl“.

Bei dieser Sesselkreis-Runde sind die Kinder m.M. viel mehr bei der Sache als sonst, vermutlich weil es darum geht, das eigene Spiel zu reflektieren. Peter z.B. sagt, dass er erfahren hat, wie schwer es sei, die Lehrerin zu sein. Einige sagen, dass so ein Lehrer da vorne einsam ist, weil alle anderen noch jemanden hätten. Die beiden „Kasperln“ sagen, dass es schwer ist so zu sein, wenn die LehrerIn kein starkes Gegengewicht hätte, dass die Schlimmen sozusagen die Lehrer bräuchten um befriedigend schlimm sein zu können. Asly – das im realen Leben und im Spiel brave Mädchen – sagt, ihr war eigentlich fad, weil es so war wie immer. Die Lehrerin sagt auch etwas in die Richtung, dass es anstrengend sei und auch frustrierend, weil sie mit ihrem Wunsch aufs Klo zu gehen nicht gehört wurde (sie spielte einen schlimmen Buben, der sich ununterbrochen meldete, um aufs Klo zu dürfen), dass sie dies aber auch absichtlich gemacht hätte, um von vergessenen Sachen abzulenken.

Die Sequenz ist für mich deshalb spannend, weil hier alle, inklusive der Lehrerin, anfangen, das was sie kennen, in dem Fall die Schule, mit anderen, „forschenden“ Augen zu sehen. Gemeint ist damit der in der Sozialforschung oft beschriebene „Befremdungseffekt“ gegenüber der vertrauten Kultur, das auf Distanz-bringen von Vertrautem und das Entwickeln neuer Fragestellungen. Dennoch, wie gesagt, solche und ähnliche Forschungsmomente wurden im Team nicht aufgegriffen und weiter entwickelt, vermutlich weil sie uns in ihren Andockmöglichkeiten erst beim späteren Durcharbeiten der Protokolle bewusst wurden. Das Rollenspiel selbst will von uns als Methode gesehen werden, auf Dinge draufzukommen und genau diese anderen Sichtweisen zu entwickeln. Aber auch hier wurde von uns der Beginn nicht weiter ausgebaut, da wir in dieser ersten Projektphase möglichst viele Methoden durchprobieren wollten.

Dinge werden anders

Da Partizipation für mich auch heißt, für Vorschläge der Forschungspartner_innen offen zu sein und diese zu schärfen, war für mich der ganze, oben beschriebene Prozess im folgenden Semester das Forschungssetting umzustellen, ein partizipativer. Die Kinder und die Lehrerin sagten uns immer wieder, dass das so zu langweilig sei, etc. und auch die meisten unseres Forschungsteams teilten diese Sicht bzw. fanden, dass die Dinge nicht wirklich in eine klare Richtung gingen. Dies führte uns dazu die Kinder zu interviewen um draufzukommen, in welche Richtung sie gehen wollten. Dabei übersetzten wir das in den Interviews Gesagte teilweise in unsere Sprache oder in die Sprache eines möglichen Gruppenthemas. So hat sich bei mir der Gedanke geschärft, dass Partizipation nie nur bedeuten kann, zu schauen was jene wollen, die Nicht-Forscherinnen sind, sondern dass auch die Forscherinnen sich überlegen, was sie interessant finden, was für sie zeitlich und energetisch machbar ist, etc. Vermutlich ist es nur dann möglich, dass die Kinder wirklich erleben, wie aus dem „eigenen“, aus irgend einer Idee, einer Leidenschaft (Fußball#) oder etwas, das man gemacht hat (wie das Rollenspiel) etwas wird, das vorher so noch nicht betrachtet wurde; wie also Dinge auch von anderen Seiten betrachtet werden können. Das wäre für mich der Forschungsanspruch, zumindest ein erster Schritt.
In meiner kleinen Arbeitsgruppe des zweiten Semesters „Liebesorte“ ist das immer wieder gelungen, bis dahin, dass Asly und Mavi nach dem Projekttag ein Plakat machten: „Vorher – Nachher“, um zu illustrieren, was sich durch das Forschen geändert hat (# mit meinem Methodentext).
Ähnlich würde ich die Fußballgruppe einschätzen. Die Rebellion der Mädchen gegen die männliche Besetzung von „Fußball“ führte dazu, dass sie sich selber, mit unserer Hilfe, ein Interview mit einer türkischen Fußballerin organisierten. Rund um das Machen der Homepage brachten sich einige Kinder in ihrer Freizeit verstärkt ein. Ich glaube das lag auch daran, dass es so etwas Konkretes war – eine Homepage machen. Aber auch hier rebellierten die Kinder immer wieder und forderten z.B. „Bezahlung“. Das verstanden wir jetzt nicht wörtlich (zu ihrem Leidwesen), aber sehr wohl als Einforderung das Folgende als ihre Erkenntnis, ihren Beitrag anzuerkennen: Was immer das war, wir haben hier gemeinsam ein Projekt gemacht und ohne uns hättet ihr das gar nicht können.

Konklusion

Unter partizipativ in diesem Kontext verstehe ich, dass Forscherinnen und Kinder gemeinsam „etwas wollen“ und in der Lage sind, Vorschläge zu machen und aufzugreifen. Dieses mein eigenes Denken darüber, was partizipatives Arbeiten ist oder sein könnte, hat sich im Tun geformt und konkretisiert und ist nun am Ende des Prozesses weniger von einem theoretischen/politischen/forschungsethischen Anspruch, denn von ganz konkreten Fragen getragen.
Ich denke daher auch, dass Partizipation sich dann am besten zeigt, wenn mensch nicht zu streng ist und nur wirklich von A-Z gemeinsam aufgesetzte Situationen als partizipativ denkt, sondern die ganz konkreten Ansätze sieht und weiterverfolgt: Wo können die Kinder, wir und die Lehrerin ein Stück weit auf die jeweiligen Ansprüche hören, eingehen, diese aufgreifen und verändern?
Dabei denke ich nicht, dass es dem partizipativen Gedanken widerspricht zu organisieren, strukturieren oder moderieren, wo es die Kinder (noch) nicht können – im besten Fall entwickelt sich daraus ein ‚learning by doing‘ und Einzelne übernehmen sukzessive die Tätigkeiten der Forscher_innen. Aber etwas an ihnen vorbei zu organisieren oder keine Freiräume für ihre Ideen zu lassen, wäre zumindest seltsam bis a-partizipativ. Genauso sind Vorgaben, Vorschläge, Setzungen und eigens geäußerte Interessen, die von uns kommen ein partizipativer Akt, so sie Anschlussstellen mit jenen der Kinder/Jugendlichen haben. Gerade im Gegenteil: Oft können von uns gemachte Vorschläge, Themen, Dinge den Prozess überhaupt erst ins Rollen bringen – zum Beispiel durch Gegenrede.
So schlage ich endlich vor, den gesamten Prozess der Ummodellierung unseres Antrages von „Wir gehen in ein Labor“ hin zu den Forschungsgruppen, die wir am Schluss hatten, als einen partizipativen Prozess zu verstehen, selbst wenn es uns in der konkreten Arbeit nicht so erscheinen konnte.

Wissenschaft trifft Schule. – Und was ist eigentlich Forschung?

Veronika Wöhrer

Eine wichtige Frage, die vermutlich alle Beteiligten begleitet, wenn Schule und Wissenschaft sich zu dem Zweck begegnen, dass Schüler_innen „Forschung“ machen, ist die, was Forschung eigentlich ist bzw. was unter Forschung verstanden wird: Wie wird Forschung von wem definiert bzw. welche (mitunter auch unterschiedlichen) Begriffe haben die beteiligten Personen von Forschung, Wissenschaft und Wissen?

Wie viele Vertreter_innen des „teacher research“ bzw. der Aktionsforschung in der Schule betonen, sind pädagogische und ‚forscherische‘ Perspektiven nicht unähnlich: beide basieren auf Neugierde und einem Wunsch zu lernen, beide ermuntern zu eigenständigem Denken, etc. (Wilson 1995; Baumann 1996; Noffke/Somekh 2008). Diese Perspektiven in der konkreten Arbeit eines/einer forschenden Lehrer_in zu verbinden ist jedoch nicht immer einfach oder widerspruchsfrei: E. David Wong betont, die sich teilweise widersprechenden Prioritäten in der Ausübung dieser Tätigkeiten: Er schildert seinen Zwiespalt entweder einer einzelnen Schülerin sehr viel Raum dafür geben zu können, ihre Antwort zu formulieren und zu reformulieren, um ihren Erkenntnisprozess gut dokumentieren zu können, oder allen in der Klasse gleichberechtigt Raum für ihre Versuche einer Antwort geben zu können (Wong 1995). James F. Baumann beschreibt zeitliche und organisatorische Widersprüche – er hatte beispielsweise manchmal keine Zeit zu Forschungstreffen zu gehen, weil er für die Nachmittagsbetreuung der Schüler_innen eingeteilt war – die er immer zugunsten seiner Rolle als Lehrer entschied (Baumann 1996). Solche Differenzen und Widersprüche werden naheliegender Weise komplexer, wenn unterschiedliche Akteur_innen mit unterschiedlichen Erfahrungen, Praktiken und Zielen aufeinander treffen.

Unsere Erfahrung als ausgebildete Sozialforscher_innen, die in die Schule kommen und dort Sozialwissenschaften vermittelnd forschen oder auch forschend Sozialwissenschaften vermitteln (diese beiden Versionen waren oft nicht zu trennen) war die, dass in der Schule und in der Wissenschaft mitunter sehr unterschiedliche Vorstellungen davon herrschen, was Forschung und Wissenschaft sind. So lösten beispielsweise euphorische Erzählungen der Wissenschafter_innen über Aussagen und neue Erkenntnisse der Schüler_innen bei den Lehrer_innen manchmal weit größere Skepsis aus – sowohl in Bezug darauf, ob das hier Gesagte wirklich so interessant sei als auch darüber, ob diese neuen Erkenntnisse den Schüler_innen in ihrer weiteren Bildungskarriere wohl noch viel nützen würden. Vor dem Hintergrund gemeinsamer Erlebnisse und Diskussionen versucht dieser Text nun aus der Sicht einer Sozialwissenschafterin zu beschreiben, was Forschung sein kann.1

Sozialforschung und Forschungsparadigmen

In der Wissenschaft gibt es verschiedene so genannte „Paradigmen“ (also in etwa: „wissenschaftliche Schulen“ oder „Herangehensweisen“), die sich in ihrem Verständnis davon, was gute Forschung ausmacht nicht unbedingt einig sind. Ein bis heute in der Wissenschaft dominantes Paradigma ist das der „positivistischen Wissenschaft“, es besagt dass Wissenschaft universell gültig sei, wertfrei und objektiv sein solle. Letzteres bedeutet, dass ein Ergebnis so zustande gekommen sein soll, dass jede andere Person unter gleichen Umständen zu dem gleichen Ergebnis kommen würde.

In der Sozialforschung wird dieses Paradigma oft in der so genannten „quantitativen Sozialforschung“ vertreten. Diese arbeitet, wie der Name sagt, mit gut quantifizierbaren Daten, d.h. zumeist mit standardisierten Fragebögen und statistischen Verfahren, in denen der Einfluss eines/r einzelnen Forscher_in in der „Datenerhebung“ (d.h. z.B. dabei ein Interview zu führen) sowie in der „Datenanalyse“ (z.B. die Antworten zu interpretieren) möglichst gering sein soll. In dieser Form der Forschung wird „deduktiv“ vorgegangen, d.h. „vom Allgemeinen zum Besonderen schließend“. Dabei geht der/die Forscher_in zunächst von einer so genannten „Hypothese“ aus, das ist eine Vermutung über einen Zusammenhang (z.B. Frauen verdienen schlechter als Männer, auch wenn sie gleich ausgebildet sind) und formuliert eine Forschungsfrage, mit der er/sie diesen Zusammenhang überprüfen kann (z.B. Verdienen Frauen weniger als ihre männlichen Kollegen, wenn diese in der gleichen Branche tätig sind und die gleiche Ausbildung haben?). Dann wird versucht diese Frage zu „operationalisieren“, d.h. bearbeitbar zu machen. Der/die Forscher_in überlegt sich also, wen und was er/sie konkret wie untersuchen muss, um diese Frage beantworten zu können (z.B. einige Betriebe einer bestimmten Wirtschaftsbrache auswählen und eine Stichprobe von weiblichen und männlichen Angestellten des mittleren Managements zusammenstellen, die nach ihrem Einkommen befragt werden. Diese Antworten werden dann mit ihren Lebensläufen und ihren Arbeitserfahrungen verglichen.).

In der quantitativen Sozialforschung sind Repräsentativität, Reliabilität und Validität die zentralen Gütekriterien für wissenschaftliche Forschung.

Repräsentativität bedeutet, dass die Ergebnisse, die ich in einer kleineren Gruppe von Personen herausgefunden habe, auch wirklich auf die ganze „Grundgesamtheit“ der Bevölkerung, für die die Fragestellung formuliert war, übertragbar ist. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Wahlhochrechnungen: Hier muss anhand der Ergebnisse von wenigen Wahllokalen, die früher geschlossen und ausgezählt wurden und mithilfe von Interviews auf die Gesamtheit der wahlberechtigten Bevölkerung Österreichs geschlossen und hochgerechnet werden.

Reliabilität (oder „Zuverlässigkeit“) bedeutet, dass eine Untersuchung unter gleichen Bedingungen auch von einer/m anderen Forscher_in zu den gleichen Ergebnissen führen muss. Angestrebt wird also die Wiederholbarkeit der Ergebnisse unter gleichen Bedingungen. Dies ist nahe liegender Weise bei standardisierten Fragebögen oder statistischen Berechnungen leichter gegeben als bei sogenannten „interpretativen Verfahren“, die weiter unten beschrieben werden.

Unter Validität (oder „Gültigkeit“) wird verstanden, dass Methode und Untersuchungsanordnung daraufhin überprüft werden müssen, ob sie auch das messen, was gemessen werden soll. Hier geht es also darum, ob eine Forschungsmethode zur Forschungsfrage passt. So kann ich im oben genannten Beispiel einer Untersuchung über gleiche oder ungleiche Löhne von Männern und Frauen diese zwar in Interviews nach ihrem monatlichen Einkommen fragen, wenn ich dies aber als einzige Datenquelle heranziehe ohne andere Daten wie beispielsweise Aussagen des Vorgesetzten, Lohnzettel, etc. ebenfalls zu erheben, werde ich nur sehr lückenhafte und ungenaue Informationen erhalten, auf deren Basis wohl kaum aussagekräftige Ergebnisse errechnet werden können.

In der qualitativen Sozialforschung oder auch dem „interpretativen Paradigma“, wird hingegen ein anderer Ansatz vertreten: Es wird davon ausgegangen, dass Forschung immer subjektiv ist und nie völlig wertneutral sein kann, dass es aber darauf ankommt, bewusst und selbstreflexiv damit umzugehen. Qualitative Sozialforschung funktioniert „explorativ“, d.h. es werden keine bestehenden Hypothesen geprüft, sondern es soll etwas herausgefunden werden, von dem mensch noch nichts weiß. Hier werden also an konkreten Beispielen eines Ausschnitts der sozialen Welt (z.B. einer Schulklasse) bestimmte Zusammenhänge herausgearbeitet und dann erst Hypothesen darüber gebildet, ob und inwiefern das auch für andere Zusammenhänge zutreffend sein könnte. In qualitativen Forschungen werden Forschungsfragen oft recht breit gestellt, um möglichst offen an das Forschungsfeld heranzugehen. Konkretere Fragestellungen werden erst im Laufe der Forschungstätigkeit formuliert.

Qualitative Sozialforschung hat auch andere Richtlinien. Der Soziologe Siegfried Lamnek (2005) nennt beispielsweise: Offenheit, Kommunikation, prozessorientierter Forschungscharakter, Reflexivität, Explikation, und Flexibilität.

Wichtig ist dabei vor allem, dass die Personen im Forschungsfeld mit ihrem Wissen und ihren Interpretationen ihrer sozialen Realität ernst genommen werden. Sie werden nicht primär als Datenlieferant_innen, sondern als Expert_innen ihrer Lebenswelt verstanden. Qualitativ arbeitende Forscher_innen sollen möglichst offen für Unvorhergesehenes sein und ihre Methoden den Anforderungen des Feldes anpassen. Es wird anerkannt, dass Interaktionen und Analysen in einem Forschungsprozess notwendigerweise subjektiv sind. D.h. Forschungssituationen sind nicht in diesem Sinne von anderen Personen wiederholbar. Es soll aber genau dokumentiert werden, wie der/die Forscher_in zu ihren Ergebnissen gekommen ist, sodass sie von anderen nachvollzogen (oder angezweifelt) werden können.

Es wird davon ausgegangen, dass sich Einzelfälle reflexiv auf die Gesamtgesellschaft beziehen, d.h. konkret, dass sich in jeder Situation und Interaktion Muster und Strukturen zeigen, die auf gesamtgesellschaftliche Regeln verweisen. So können also anhand einzelner Fälle und kleiner Felder Muster aufgezeigt werden, die mitunter Wesentliches über die Gesamtgesellschaft aussagen. Zudem wird beachtet, dass die erhobenen und analysierten Daten einen momentanen Zustand eines Feldes beschreiben, dieses aber seinerseits nicht statisch ist und sich also selbst weiterentwickelt und verändert. Nicht zuletzt sind ja die Forscher_innen selbst ein Einfluss, der auf das Forschungsfeld wirkt und dieses verändert. Demnach ist ein weiterer wichtiger Punkt der qualitativen Sozialforschung, den eigenen Einfluss auf das Forschungsfeld und auch auf die Forschungsergebnisse mitzuerheben und zu analysieren.

Obwohl quantitative und qualitative Ansätze hier gegenübergestellt wurden und diese Differenzierung in vielen Lehrbüchern zu finden ist, wird sie auch immer wieder kritisiert. In der Praxis gibt es zahlreiche Mischformen und Kombinationsvarianten. „Methodentriangulierung“ ist der Fachbegriff dafür, wenn unterschiedliche Verfahren zur Datengewinnung und Datenanalyse kombiniert werden, um einen guten und tiefgehenden Einblick in ein Forschungsfeld zu bekommen.

Die unterschiedlichen Ansätze werden hier nicht zuletzt deshalb in dieser Form gegenübergestellt, um zu zeigen, dass die Bedeutung und die Bewertung dessen, was „Forschung“ ist und leisten soll, auch innerhalb der sozialwissenschaftlichen Community keineswegs einheitlich verstanden werden.

Bei aller Verschiedenheit der Paradigmen und Vorgehensweisen zeichnet sich wissenschaftliche Forschung aber doch stets dadurch aus, dass (Forschungs-)Fragen in den meisten Fällen nicht zu klaren Antworten, sondern zu weiteren Fragen führen – diese Fragen sind dann aber auf „höherem Niveau“ angesiedelt: D.h. ich weiß nun mehr über meinen Forschungsgegenstand und kann präzisere und interessantere Fragen stellen als bei der ersten Forschung(-setappe).

Außerdem erfordert jede wissenschaftliche Forschung Neugierde und Offenheit, damit möglichst unvoreingenommen an neue Themen und Forschungsfelder herangegangen werden kann2. Bewertungen von Ideen oder von Wissen sind in der wissenschaftlichen Forschung hinderlich, weil sie tendenziell den Blick verstellen. Wir haben unsere Versuche den Schüler_innen möglichst unvoreingenommen gegenüberzustehen und uns „überraschen zu lassen“ im Team auch „pragmatische Naivität“ genannt (# link PAR-essay von Karin). Denn nur, wenn ich versuche, einem Forschungsfeld positiv und möglichst vorurteilslos gegenüberzustehen, bin ich offen für neue Entdeckungen, für Überraschungen und Unvorhergesehenes – und genau das sind ja besonders interessante Forschungsergebnisse.

„Zuerst denkst du, es ist ganz einfach love ist love. Und dann merkst du, es geht um kompliziertere Sachen.“3

Innerhalb des Schulsystems Forschung (nach dem interpretativen Paradigma) zu machen, bedeutet also auch, sich für andere Vorstellungen von Wissen und Wissenserwerb zu öffnen: Neugierde und scheinbar absurde und schräge Ideen und Assoziationen sind wichtige Bestandteile von Forschung. Gedankenexperimente und gewagte Verknüpfungen sind gefragt. „Dumme“ Fragen gibt es ebenso wenig wie „richtige“ oder „falsche“ Antworten. Es gibt lediglich Wege und Optionen, die interessanter oder viel versprechender erscheinen als andere und in einem späteren Stadium des Forschungsprozesses kann von plausibleren oder weniger plausiblen Antworten gesprochen werden. Ein möglichst offenes und breites Ausloten des Forschungsfeldes und der Forschungsfrage sind notwendig, um überraschende und innovative Erkenntnisse zu erlangen. Daraus folgt, dass Bewertungen (auch wenn sie in manchen Schulformen beispielsweise durch das Benotungssystem immer wieder präsent sein mögen und dort wichtig sind), im Forschungsprozess kontraproduktiv sind, denn sie schränken die Interpretationsoptionen vorzeitig ein.

Wissenschaftliches Forschen bedeutet also, sich auf Unsicherheit und (den Versuch von) Wertfreiheit einzulassen. Das Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen Vorstellungen war, unserer Beobachtung nach, für Schüler_innen, Lehrer_innen und Forscher_innen bereichernd, aber auch immer wieder irritierend. So meinte etwa eine Schülerin am Ende des ersten Forschungs-Schuljahres: „Ich habe gedacht, wir werden diese Fragen, die am Anfang am Plakat gestanden sind, [z.B. „Wie kann man sich verlieben?“, „Ist es wirklich Liebe, wenn man am nächsten Tag wieder Schluss macht?“], beantworten. Ich hab wirklich gedacht, wir werden die einfach beantworten.“ (audiotape_090507). Sie hatte also erwartet, dass es in der Forschung – wie oft in der Schule – klare Antworten auf die gestellten Fragen gibt. Dass am Ende vielleicht mehr Fragen stehen als Antworten, diese nun aber auf einem viel komplexeren Niveau, hatte sie nicht gedacht. Eine Mitschülerin ergänzte „Zuerst denkst du, es ist ganz einfach love ist love. Und dann merkst du, es geht um kompliziertere Sachen.“ Erstgenannte Schülerin meinte auch „Das war ur anstrengend heute. Ich hab noch nie soviel gearbeitet. Ich mein‘ da drinnen in meinem Kopf“ (alle: BP_KS_090507). Diese Aussagen zeigen, dass die Schülerinnen mit einer Art Wissen zu generieren beschäftigt waren, die sie nicht gewohnt sind: Durch die Erfahrung eine teilnehmende Beobachtung gemacht zu haben sowie die nachfolgenden Diskussionen, Reflexionen, die Bearbeitung eines Beobachtungsprotokolls und neuerliche Diskussionen, dachten die Schüler_innen viel über soziale Strukturen, über Regeln sowie das Verhalten von ihnen selbst und ihren Mitschüler_innen nach. Am Ende dieser Projekttage standen aber nicht unbedingt klare Antworten darauf, was Liebe ist, wie man sich verliebt, etc., sondern neue Fragen.

Diese Art zu forschen trifft im Regelschulsystem allerdings auf andere Strukturen4: Es gibt Lehrpläne, welche die Relevanz unterschiedlicher Themenfelder klar vorgeben. Es gibt ein klares Notensystem, das die Leistungen der Schüler_innen bewertet und dem angesichts der beruflichen Zukunft der Schüler_innen einer KMS (wer schafft welche Noten in der 4. Klasse, um an eine mittlere oder gar höhere Schule wechseln zu können, wer hat realistische Chancen auf eine (gute) Lehrstelle, wer schafft überhaupt den Hauptschulabschluss?, etc.) große Bedeutung zukommt. Dieses System baut also auf der expliziten Bewertung (und Bewertbarkeit) von Fertigkeiten und Fähigkeiten auf. Um „Wissen“ benoten zu können, werden unter anderem „richtige“ von „falschen“ Antworten unterschieden. Durch den Lehrplan (und in weiterer Folge den Arbeitsmarkt) wird definiert, welches Wissen gewusst werden soll, welches Wissen also besonders relevant ist. In der Sozialforschung sind hingegen unterschiedliche Bewertung von Themenfeldern (beispielsweise als „sinnvoller“ oder „wichtiger“ als andere) oder von Antworten auf (Forschungs-)Fragen hinderlich. Hier kommt es ganz im Gegenteil darauf an, den Blick dafür zu öffnen, dass auch in scheinbaren „Randgebieten“ (z.B. Chatten, Graffiti, Fußball, etc.) wichtige gesellschaftliche Prozesse stattfinden.

Ich möchte hier keineswegs die vielen Versuche alternative Formen der Wissensvermittlung in der Regelschule auszuüben bzw. zu implementieren unterschlagen oder gar die Schule insgesamt in ihrer (auch) disziplinierenden Form karikieren. Mir geht es hingegen darum, darauf aufmerksam zu machen, dass in der Begegnung von Wissenschaft und Regelschule unterschiedliche Systeme aufeinander treffen, die unterschiedlich verortet sind, unterschiedliche Zielsetzungen und Erwartungen erfüllen und bisweilen unterschiedlichen Logiken folgen. In diesen Begegnungen können alle Beteiligten viel lernen, wenn sie sich darüber klar sind, dass gleiche Begriffe mitunter unterschiedliche Bedeutungen haben.

Was die Schüler_innen in solchen (Sozial-)Forschungsprojekten lernen können, ist also nicht in erster Linie Faktenwissen, sondern Fähigkeiten (z.B. Diskutieren, Thesen aufstellen, (Selbst-)Reflexion) und Techniken (z.B. Recherchieren, Protokollieren, Schreiben, etc.), die sie allerdings auch in anderen schulischen und beruflichen Bereichen anwenden können, die mit Forschung gar nichts zu tun haben.

Diese sehr offene Form Wissen mit den Schüler_innen gemeinsam zu generieren führte unserer Beobachtung nach auch dazu, dass sich Rollen und Positionen von Schüler_innen veränderten: Durch die Kleingruppenarbeit, die wir durch das Forschungsteam in einer Form gewährleisten konnten, die in der Regelschule kaum möglich ist, konnten die Schüler_innen intensiver betreut werden. Wir wollten und konnten ihren inhaltlichen Wünschen in Bezug auf Inhalt und Methoden nachgehen, d.h. mit ihnen das beforschen, was sie in interessierte. All dies führte dazu, dass stille oder desinteressierte Kinder im Schulunterricht mitunter großes Engagement und Enthusiasmus zeigten, wenn es um Forschung ging und dass Fähigkeiten von Schüler_innen sichtbar wurden, von denen weder wir noch die Lehrer_innen gewusst hatten.

Literatur

Baumann, James F. (1996). Research News and Comment: Conflict or Compatibility in Classroom Inquiry? One Teacher’s Struggle to Balance Teaching and Research. Educational Researcher, 25(7), 29-36.

Diekmann, Andreas (2008): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (19. Aufl, vollst. überarb. und erw.)

Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung, Weinheim: Beltz (4.Aufl, vollst. überarb.)

Flick, Uwe / Kardoff, Ernst von / Steinke Ines, Hg. (2009): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.

Noffke, Susan / Somekh, Bridget (2008): Action Research, in: Somekh, Bridget & Lewin, Cathy (Eds.), Research Methods in the Social Sciences (pp. 89-96). Los Angeles, et al: Sage Publications.

Wilson, Suzanne M. (1995). Not Tension but Intention: A Response to Wong’s Analysis of the Researcher/Teacher. Educational Researcher, 24(8), 19-22.

Wong, David E. (1995:. Challenges Confronting the Researcher/Teacher: Conflicts of Purpose and Conduct. Educational Researcher, 24(3), 22-28.

1 Ich bleibe hier bei einer Darstellung der recht konventionellen Vorstellungen von Sozialforschung. Experimentellere oder kontroverse Definitionen sind nur am Rande erwähnt.

2 Unvoreingenommenheit ist natürlich nur ein angestrebter Näherungswert: Niemand ist völlig vorurteilsfrei: Wir haben alle bestimmte Ideen und Meinungen im Kopf und tragen bestimmte Wertungen mit. In der Wissenschaft wird jedoch – mit verschiedenen Methoden – versucht, diese entweder gering zu halten (positivistisches Paradigma) oder zu reflektieren und damit sowohl offen zu legen als auch bearbeitbar zu machen (interpretatives Paradigma).

3 Zitat einer Teilnehmerin der Forschungsgruppe „Liebesorte in der Schule“ (#link Beobachtungsinterpretation).

4 Der folgende Absatz betrifft keineswegs alle Schulformen, sondern bestimmte Schulen des Regelschulsystems.

Statement zur Partizipation von Veronika Wöhrer

Was verstehe ich unter „Partizipation“?

Wenn ich es möglichst kurz ausdrücken sollte, würde ich „partizipative Zusammenarbeit“ im Kontext des Projektes „Tricks of the Trade“ wohl als eine bestimmte Form der Aufgabenteilung zwischen Wissenschafter_innen, Schüler_innen und Lehrer_innen beschreiben, die von stetigen Aushandlungsprozessen zwischen diesen drei Gruppen geprägt war. Dabei gab es stetige Versuche aufeinander ein- und zuzugehen und ein Interesse daran, am Ende mehr zu wissen als am Anfang. Wir entwickelten eine Form der Arbeitsteilung, in der die Lehrer_innen einen Großteil der Strukturen und Rahmenbedingungen setzten (wann und wie oft finden die Treffen zwischen Wissenschafter_innen und Schüler_innen statt, was muss dabei gewährleistet sein?, z.B. rechtlichen Bedingungen, Elterninformation, etc.), die ausgebildeten Sozialforscher_innen einen Teil der inhaltlichen Inputs lieferten (z.B. Forschungsmethoden einbringen, Arbeitsmaterialen und Literatur vorbereiten, Ideen zu Dissemination vorschlagen), aber auch die Einheiten mit den Schüler_innen strukturierten (z.B. Entwicklung der Vermittlungsmethoden, Moderation der Gespräche, Überwachen des Einhaltens eines produktiven Arbeitsklimas) und die Schüler_innen die meisten konkreten Inhalte (z.B. Forschungsthemen, Forschungsfragen, ihre eigenen Erfahrungen und Hypothesen) einbrachten. Natürlich trugen auch die Forscher_innen und die Lehrer_innen (die bei den konkreten Forschungsgruppen jedoch nicht durchgehend anwesend waren) Erfahrungen und Hypothesen bei, doch die Wissenschafter_innen verstanden sich eher als die, die Vorstellungen der Schüler_innen ermutigten, unterstützten und umsetzen halfen.

Im Nachhinein finde ich, dass die Aushandlungsprozesse sowohl mit den Schüler_innen als auch mit den Lehrer_innen zu den besonders interessanten Erfahrungen dieses Projekts gehören – auch wenn ich sie in der Zeit der Durchführung nicht selten als mühsam und schwierig erlebte. Die Verhandlungsgegenstände waren mit diesen beiden Gruppen durchaus unterschiedlich: Mit den Lehrer_innen verhandelten wir vorwiegend Rahmenbedingungen und den Zugang zu den Schüler_innen, also z.B., wie oft wir kommen konnten, welche Ressourcen wir verwenden konnten, etc. Diese Verhandlungen waren vermutlich für beide Seiten immer wieder anstrengend, weil sehr unterschiedliche Systeme und Erwartungen aufeinander trafen. (Die unterschiedlichen Herangehensweisen von Schul- und Forschungskultur an Wissensproduktion, Fakten, Bewertungen, etc., werden im Artikel Forschung trifft Schule # LINK näher erläutert). Außerdem gab es mit den Lehrer_innen auch bereichernde Diskussionen darüber, was Soziologie und was Forschung bedeuten (können), wie Bildungsferne in diesem Schulsystem produziert wird, welche Rolle Migrationshintergründe und Klassenzugehörigkeiten spielen. Diese Diskussionen fanden aber (leider) oft in Abwesenheit der Schüler_innen statt.
In den Verhandlungen mit den Schüler_innen ging es vor allem darum, was wir in dieser Zeit, die wir gemeinsam verbrachten, machen wollten. Im Unterschied zu den Lehrer_innen und Wissenschafter_innen ging es für die Schüler_innen weder um bezahlte Arbeitszeit noch um Prestige, Lebensläufe oder beruflichen Ethos. Sie hatten jedoch ein Interesse daran, diese Zeit, die sie in der Schule und in diesem Fall eben mit dem „Forschungsprojekt“ verbrachten, möglichst lustvoll und angenehm zu verbringen. Den Wissenschafter_innen ging es in erster Linie darum zu forschen, d.h. Daten zu generieren und zu analysieren sowie die Schüler_innen in diesem Prozess mitzunehmen. (Außerdem lief als quasi „zweite Schiene“ für die Wissenschafter_innen nebenher, dass in der Gruppe Diskussionsfähigkeit hergestellt oder bewahrt werden musste und also darauf zu achten war, dass die Schüler_innen weder physisch noch geistig allzu weit „abdrifteten“. Das „Wollen“ der Wissenschafter_innen war also immer auch ein Pädagogisches. ) Diese unterschiedlichen Interessen trafen sich meist dort, wo die Schüler_innen etwas machen konnten, das ihnen ohnehin Spaß machte (Chatten, im Internet recherchieren, in den Park gehen, über das eigene Verliebt-sein sprechen, etc.) und wir mit ihnen an diesen Beispielen etwas erforschen konnten.

Der „Deal“ war also in etwa der: Ihr könnt mit uns etwas machen, das euch Spaß macht, aber wir diskutieren, reflektieren und analysieren gemeinsam, was ihr da tut bzw. was wir da tun. Auf diese Weise wurden die Schüler_innen selbst allerdings immer wieder – aber keineswegs immer, wie in den Darstellungen der Forschungsgruppen „Fußball“ und „Beruf und Forschung“ zu sehen ist – nicht nur zum Subjekt, sondern auch zum Objekt der Forschung, d.h. sie forschten zwar selbst, doch erforschten sie dabei auch sich selbst bzw. ihre engere Umgebung (ihre Schulkolleg_innen, Freund_innen, etc.). Dieses „Zusammenfallen“ von Forschungssubjekt und Forschungsobjekt, wird in der feministischen Methodendiskussionen immer wieder thematisiert und mitunter als notwendige Reflexion auch gefordert (vgl. Fine 1994, Wilkinson/ Kitzinger 1996), es entspricht auch einigen konkreten empirischen Methoden, wie beispielsweise der Erinnerungsarbeit von Frigga Haug (Haug 1990). Zudem ist es auch ein sehr häufiges Phänomen partizipativer Sozialforschung (PAR): Viele PAR-Projekte, nicht zuletzt der Bereich des ‚teacher research’ haben einen Aspekt der eigenen Arbeits- oder Lebenswelt der (Ko-)Forscher_innen zum Gegenstand (vgl. z.B. Whyte 1990; Maguire 1987 bzw. Wong 1995, Wilson 1995, Baumann 1996).
In unserem Projekt führte diese Vorgehensweise in besonders produktiven Momenten zu einer gemeinsamen Reflexion des eigenen Tuns und eventuell des eigenen Begehrens dahinter. Es kam in vielen Gruppen zu einer analytischen Reflexion der eigenen Standpunkte oder auch der verwendeten Methoden. Um ein Beispiel aus dem Bereich teilnehmender Beobachtung zu nehmen: Unterschiede zwischen verdeckter und offener Beobachtung sowie zwischen Beobachtungen in einer fremden versus einer vertrauten Umgebung sowie die Auswirkungen des Beobachtungsprozesses auf die Beobachteten wurden von den Schülerinnen angesprochen und aufgezeichnet.

Eine weitere Erfahrung, die für mich zentral war und die mir meine eigene wissenschaftliche Sozialisation und Vorstellungswelt bewusster machte, war die, dass partizipative Sozialforschung eine aktive Involvierung der Wissenschafter_innen in das Forschungsfeld bedeutet, die über das hinausgeht, was ich aus meinen bisherigen Feldforschungen kannte. D.h., um mit den Schüler_innen zu forschen war es immer wieder notwendig, nicht nur ins Feld zu gehen, dort zu beobachten, zu befragen, und sich dort also „zu verhalten“ – diese Form der Involvierung und des Agierens ist in jeder Feldforschung und in jeder Ethnographie Teil der sozialwissenschaftlichen Arbeit – sondern Vieles immer wieder neu und aktiv zu verhandeln, z.B. Zeiten, Räume, Strukturen oder Inhalte. Wir mussten uns, wie bereits festgehalten, gegenüber der Schule Freiräume, Orte und Zeiten, in denen wir mit den Schüler_innen forschen wollten, ebenso ausverhandeln, wie mit den Schüler_innen Zeit und Energie für Reflexionen und Analysen. Wir waren in dieser Zusammenarbeit nicht nur als Wissenschafter_innen, sondern auch als Vermittler_innen bisweilen auch als Sozialpädagog_innen gefragt: Denn wir mussten in der Arbeit mit den Schüler_innen ja auch aktiv Rahmen und Regeln setzen. 11- bis 13-jährige Schüler_innen erwarten dies (mit Recht) von Erwachsenen, die mit ihnen arbeiten.

Oft wurden wir auch nach unserer Meinung oder nach unseren Erfahrungen gefragt. Diese auch zu sagen ist zwar eine in der feministischen Sozialforschung bereits seit langem geforderte Haltung (vgl. Oakley 1990), doch in der Beziehung zwischen Sozialforscher_innen – die fast durchwegs als Lehrer_innen wahrgenommen wurden – und  jungen Schüler_innen kommt solchen Aussagen eine relativ schwerwiegende Bedeutung zu. Aus der Perspektive der Schüler_innen (und der Schule) sind dies nachvollziehbare Erwartungen. Sie stellten mich persönlich aber vor große Herausforderungen. So komme ich aus einer sozialwissenschaftlichen Forschungstradition, in der eine abwartende, relativ distanzierte Haltung gegenüber dem Feld empfohlen wird. Es wird versucht wenig und vorsichtig zu intervenieren und dann sorgfältig zu beobachten, was diese Interventionen bewirken. Eine Haltung also, die verhältnismäßig viel Distanz und Zeit erfordert – zwei Dinge, die wir in den allermeisten Situationen nicht hatten. Nur allzu oft waren wir gefordert flexibel, rasch und deutlich zu intervenieren, auf Veränderungen zu reagieren, neue Regeln zu setzen, etc. Die Auswirkungen dieser Interventionen konnten nicht sorgfältig aufgezeichnet werden, sondern es musste meist unmittelbar darauf wieder etwas Neues gesetzt werden. Wir nahmen unsere unterschiedlichen Rollen also gleichzeitig ein: Während wir für die Schüler_innen (und Lehrer_innen) zumeist in erster Linie als Vermittler_innen (und teilweise als Sozialpädagog_innen, als erwachsene Ansprechpartner_innen, als Ratgeber_innen, etc.) sichtbar waren und nach didaktischen und pädagogischen Kriterien angesprochen und bewertet wurden, war zumindest ich nach meinem eigenen Verständnis zuallererst Sozialwissenschafterin, die versuchte zu beobachten, was wer warum tut und nur dann Interventionen setzte, wenn sie unbedingt notwendig schienen.

Ein Versuch mit dieser Rollenvielfalt umzugehen, war die Idee die Positionen im sozialwissenschaftlichen Team aufzuteilen und neben expliziten Vermittler_innen in der Gruppe auch Beobachter_innen-Positionen zu vergeben. Dies hätte aus personellen Gründen bedeutet, weniger Kleingruppen zu machen, aber es erschien uns dennoch sinnvoll. Ich selbst habe ein Mal eine solche Position eingenommen – genau an jenem Tag, an dem ein Streit unter Jugendlichen zu einer Eskalation führte. Um ehrlich zu sein, bis heute denke ich, dass ich meine Beobachtungsposition aktiver hätte verlassen müssen. Bis heute weiß ich nicht, ob das etwas geändert hätte. Ich weiß aber, dass ich danach keine Ambitionen mehr hatte, mich noch einmal in die Beobachterinnen-Position zu begeben. Sie schien mir in dem Setting schlicht kaum durchführbar zu sein.

Abgesehen von der Schwierigkeit all diese Rollen und Erwartungen gleichzeitig einzunehmen bzw. zu erfüllen, wurde mir bewusst, dass meine sozialwissenschaftliche Ausbildung mich für die Mehrzahl dieser Rollen auch gar nicht qualifiziert. So bin ich zwar ausgebildet Widerstände, diskreditierende Äußerungen, Konflikte, Ausschlüsse oder auch Gewalt von seiten des Forschungsfeldes zu interpretieren, nicht aber dafür, mit diesen (sozial-)pädagogisch umzugehen. Ethnomethodologische und ethno-psychoanalytische Ansätze zeigen, dass Widerstände, Irritationen und unerwartete Reaktionen auf Seiten der Erforschten wie der Forschenden besonders ergiebige Daten sind (e.g. Garfinkel 1984, Erdheim 1991). Erdheim hält fest, dass die Rolle, die Feldforscher_innen zugesprochen wird, Teil einer Verteidigungsstrategie von Personen aus dem Forschungsfeld sein kann. Forscher_innen sind Fremde und eine mögliche Irritation der dominanten sozialen Ordnung in einem Feld: Sie kennen die herrschenden Regeln nicht, verstoßen gegen diese und rufen damit Unwillen bei den „Beforschten“ hervor, die versuchen diese Irritationen zu neutralisieren (Erdheim 1988: 30).
Ich habe als Soziologin also gelernt, eine Verweigerung, einen Konflikt oder sogar dessen Eskalation zu beobachten, zu beschreiben und zu interpretieren. Ich bin aber nicht dafür ausgebildet, verhandlungstaktisch zu agieren, um im Feld etwas durchzusetzen oder im Konfliktfall de-eskalierend einzugreifen oder zu supervidieren. Im Gegenteil, zu stark zu intervenieren, entspricht gar nicht meinem wissenschaftlichen Interesse. Obwohl dies (sozial-)pädagogisch sinnvolle Vorgehensweisen im Konfliktfall sind, habe ich einerseits wenig Erfahrung und Repertoire darin, andererseits auch nur im Notfall ein Interesse daran. Ich möchte nicht behaupten, dass eine distanziert-beobachtende soziologische Haltung ein Eingreifen aktiv verhindern oder „verbieten“ würde, doch es legt ein solches nicht nahe. Es steht nicht im Zentrum sozialwissenschaftlicher Datenerhebung oder Datenanalyse, ist mithin also nicht Teil der Ausbildung oder der üblichen Forschungspraxis.

Wie kann ich aber dennoch produktiv mit solchen Situationen umgehen? Ich möchte in diesem Text weder große ethische Fragen zur (der Durchführung von) Sozialforschung erörtern noch für eine klare Trennung von Sozialforschung und Sozialpädagogik plädieren – für die es sicher gute Gründe gibt. Ich möchte hingegen für das Ernstnehmen der eigenen Involviertheit und der eigenen Grenzen plädieren, für den Mut dazu und das Sichtbarmachen dessen, dass wir Sozialforscher_innen niemals „unschuldig“ sind, sondern uns in der Feldforschung stets in der einen oder anderen Form „schmutzig“ machen: „one must be in the action, be infinite and dirty“ meint Donna Haraway, wenn sie über Forschung spricht (Haraway 1997: 36). Es kommt meiner Meinung nach darauf an, diese Unvollständigkeit, Unzulänglichkeit und Schmutzigkeit in der Forschung ernst zu nehmen und zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen. Gerade die Punkte, an denen unterschiedliche Erwartungen aufeinander treffen, an denen Versprechen nicht eingelöst werden, Überforderungen auftreten, etc. sind Momente, an denen sich Systematiken und Regeln zeigen. Es sind Momente, die, wenn sie sorgfältig analysiert statt verschwiegen werden, für die Forschung sehr produktiv sind, die aber – und das soll nicht vergessen werden – für andere Teilnehmer_innen und andere Systeme (in diesem Fall: die Schule, Lehrer_innen, Schüler_innen oder Eltern) gleichzeitig mitunter sehr unangenehme Auswirkungen haben.

Partizipation ist meiner Ansicht nach also immer ein Aushandeln und ein Abwägen verschiedener Wünsche, Erwartungen und Zielsetzungen. Verschiedene Akteur_innen aus verschiedenen Institutionen und Systemen treffen aufeinander. Unterschiedliche Bedeutungen gleicher Begriffe und Ereignisse müssen verhandelt werden. Im besten Fall kommt es zu einer gemeinsamen Verständigung und zu einem Ergebnis, mit dem alle zufrieden sind, auch wenn es für die verschiedenen Teilnehmer_innen und Systeme wohl immer Unterschiedliches bedeutet und unterschiedliche Konsequenzen hat.

Literatur:

Baumann, James F. (1996): Research News and Comment. Conflict or Compatibility in Classroom Inquiry? One Teacher’s Struggle to Balance Teaching and Research, in: Educational Researcher, 25(7): 29-36.

Erdheim, Mario (1988): Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit. Eine Einführung in den ethnopsychoanalytischen Prozeß, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2. Aufl.

Erdheim, Mario (1991): Psychoanalyse und Unbewusstheit in der Kultur, Frankfurt/Main: Suhrkamp

Fine, Michelle (1994): Working the hyphens. Reinventing the Self and Other in qualitative research, in: Denzin, Norman K. / Lincoln, Yvonna S., eds.: Handbook of qualitative research, Newbury Park, CA: Sage: 70-82

Garfinkel, Harold (1984 [1967]): Studies in Ethnomethodology, Malden: Polity Press/Blackwell Publishing

Haraway, Donna (1997): Modest_Wittness@Second_Millenium. Femaleman©_Meets_Oncotmouse™, Feminism and Technoscience, New York: Routledge

Haug, Frigga (1990): Erinnerungsarbeit, Hamburg: Argument-Verlag

Maguire, Patricia (1987): Doing Participatory Research: A Feminist Approach, Amherst (Massachusetts): Center for International Education, University of Massachusetts/Amherst

Oakley, Ann (1990): Interviewing Women. A Contradiction in Terms, in: Roberts, Helen (ed.): Doing Feminist Research, London / New York 1990: 30-61

Whyte, William Foote, Hg. (1999): Participatory action research. Newbury Park, California: Sage

Wilkinson, Sue / Kitzinger, Celia, eds. (1996): Representing the Other. A Feminism and Psychology Reader, London: Sage Publications

Wilson, Suzanne M. (1995): Not Tension but Intention. A Response to Wong’s Analysis of the Researcher/Teacher, in: Educational Researcher, 24 (8): 19-22

Wong, David E. (1995): Challenges Confronting the Researcher/Teacher: Conflicts of Purpose and Conduct, in: Educational Researcher, 24 (3): 22-28.

Partizipation als Begegnung. Von Bernhard Höcher

Im folgenden Text möchte ich versuchen, der uns selbst gestellten Aufgabe der Reflexion des nunmehr beinahe 2 Jahre dauernden Projektes „Tricks of the Trade“ nachzukommen. Nun, zwei Jahre sind eine lange Zeit, viele Begegnungen sind geschehen; ich erinnere vielfältige Gespräche, Beobachtungen, emotionale Aufs und Abs, zu vielen neuen Namen habe ich jeweils fragmentierte Geschichten, Bilder, Töne. Jetzt scheint der Punkt gekommen dies alles auf eine neue Ebene zu heben, dieses Viele in Beziehung zu mir und meinem Tun zu setzen, einen Sinn daraus zu machen.

Wenn ich schreibe, dass wir uns gedacht haben, dass es eine gute Idee sein könnte, die von uns initiierten, erlebten, beobachteten, etc. Prozesse je individuell in einem bis zu 5 Seiten langen Text zu reflektieren und darüber zu versuchen geneigten LeserInnen einen Einblick in unser Verständnis selbiger zu geben, stellt sich die Frage, wer denn ‚wir‘ gemeint ist. Womit ich bei der hauptsächlichen Frage dieses Textes angelangt bin: Was verstehe ich (nach diesen 2 Jahren Projektarbeit) unter Partizipation bzw. genauer: unter der Methode der Participatory Action Research (PAR), die wir uns als Motto für unsere Herangehensweise gewählt haben.

Nochmal, Begegnungen sind reichhaltig und übersteigen letztlich jegliche (sich vollständig wähnende) Beschreibung, nichtsdestotrotz werden sie erlebt, können Teile in Sprache überführt, können sie erinnert und erzählt werden. Derartige Erzählungen beinhalten möglicherweise die Dimension des Gefühlten, sind angereichert mit Emotionalität, da sie weniger beobachtet als erlebt werden. Doch ich flüchte mich hier in pseudo-wissenschaftliche Sprache, auch das vielleicht ein Indiz dafür, dass diese Textsorte mir nicht ganz geheuer ist, zugleich aber wird dadurch auch deutlich, dass dies nicht der angemessene Ton für diese Form der Erzählung zu sein scheint – er ist stets um Distanzierung des Beforschten bemüht, hier geht es aber um die Involvierung, einen Distanzverlust. Zusammenfassend habe ich bislang folgendes angesprochen, das mich nun weiter beschäftigen wird:

Was verstehe ich unter PAR?

Wen umfasst ‚Wir‘?

Bedeutung von Nähe und Distanz zum Forschungsgegenstand?

Was/Wer ist der Forschungsgegenstand?

In den letzten zwei Jahren sind für mich sehr viele neue und interessante, teils auch aufregende und irritierende, Ereignisse innerhalb dieses Projektes möglich geworden.

Unsere Grundidee, wie wir mit den SchülerInnen und der Klassenlehrerin zusammenarbeiten möchten, war, sie in eine sozialwissenschaftlich geleitete Forschungsarbeit einzubeziehen und mit ihnen gemeinsam zu Themen ihrer Wahl zu forschen. Wenngleich uns bereits zu Beginn des Forschungsprozesses bewusst war, dass wir, im Hinblick auf andere uns zu diesem Zeitpunkt bekannte PAR-Studien, etwas Wesentliches vermissten, den Auftrag. ‚Normal‘ erscheint nach Lektüre solcher Publikationen, dass eine Personengruppe ein Problem definiert und nun ForscherInnen darauf aufmerksam macht, oder diese von allein (?) darauf aufmerksam werden – jedenfalls nun die ForscherInnen dieser oder diesen Personengruppe/n ihre wissenschaftliche Expertise zur Problemlösung anbieten. Daraus resultiert idealerweise ein gemeinsamer Forschungsprozess an dessen Ende eine robuste, weil sozial ausgehandelte, Problemlösung steht, die die Betroffenen gemeinsam mit den WissenschafterInnen entwickelt haben. Hier findet sich die Action in PAR.

Wir waren leider nicht in diesem Sinn erwunschen, wir sind einer Ausschreibung eines Ministeriums gefolgt, haben erfreulicherweise unseren Projektantrag bewilligt bekommen und somit ist uns diese Form der Forschung ermöglicht worden. Stolz ausgerüstet also ab in die Schule und Forschung machen? Nicht ganz. Freilich bedurfte es, nun da es ‚ernst‘ geworden war, eines Treffens mit der Lehrerin, einem konkreten Ausverhandeln der Semestergestaltung, wie viel und zu welcher Zeit wir in der Schule arbeiten können/dürfen. Zudem ein Hinweisen der Lehrerin auf die schwierigen und für uns vermutlich ungewohnten Schulbedingungen und -abläufe, da es sich um eine ehemalige Hauptschule (nun Kooperative Mittelschule) handelt, deren SchülerInnen, wie wir so gern sagen, aus sozial benachteiligten Haushalten stammen, teilweise Schwierigkeiten Deutsch zu sprechen haben, ihre Interessen und Probleme gänzlich anders gelagert seien, als wir sie mit unserem Motto: „Forschen wir gemeinsam“ ansprechen könnten. Dass die SchülerInnen momentan am Beginn ihrer Pubertät stünden bzw. manche, zu diesem Zeitpunkt vermutlich nur 2 SchülerInnen, da sie ein Jahr älter als ihre MitschülerInnen sind, sich bereits mittendrin in dieser etwas stürmischen Zeit befänden.

Das wollte uns alles nicht irritieren, ab in die Klasse. Endlich. Es folgte ein recht unebenes Semester, in dem wir viel ausprobierten, versuchten den SchülerInnen zu erklären was Wissenschaft ist, weshalb von Disziplinen gesprochen wird und was diese unterscheidet, aber auch was sie eben verbindet. Wir nutzten Vermittlungsformen, wie etwa das Rollenspiel, usw. und letztlich hatten wir sehr unterschiedliche Wahrnehmungen bezüglich Gelingen und Scheitern unserer Anliegen. Zugleich zeigte sich die Schwierigkeit von Kontinuität, einerseits bei der Frage, wie wir die SchülerInnen von einer Einheit zur nächsten ‚mitnehmen‘ können (zwischen diesen lagen meist 2 Wochen), andererseits, wie wir unsere eigenen Interessen und Fragen kontinuierlich verfolgen können (ganz zu schweigen davon, wie abzuschätzen ist, ob und welche Wirkungen ein jetzt gesetzter Input später haben mag). Bereits in der ersten Einheit wurde mir ein Grundproblem sehr deutlich, das in der Beobachtung als selektive Wahrnehmung diskutiert wird, sich bei uns aber ein klein wenig anders stellt. Hierbei handelt es sich um ein zwar zu reflektierendes, methodisch möglichst bearbeitbar zu machendes, aber letztlich nicht lösbares Problem des Ausschnitts, der fragmentierten, partiellen Beobachtbarkeit von Phänomenen. Was aber tun wenn sich Phänomene vor Phänomene schieben, wenn SchülerInnen beginnen mit mir zu sprechen, während eine Kollegin ihr Wort an alle Beteiligten richtet? Wenn die Phänomene keine Phänomene sondern Agenten sind, die, und das scheint mir hier die Besonderheit, mich immer wieder daran erinnern ein Teil dieser Situation zu sein, mich einbeziehen in ihre Wünsche, Sorgen, Probleme, etc.? Die Involvierung kam also lang bevor den Beziehungen die wir heute zueinander führen, doch ein Rückzug auf eine Beobachterposition, so sie mir überhaupt möglich gewesen wäre, hätte diese Beziehungen vielleicht unterbunden, der Forschungsgegenstand wäre möglicherweise dieserart erhalten, abgegrenzt geblieben.

Im zweiten Semester, nachdem uns einige SchülerInnen wissen ließen, dass sie das so ziemlich fad fänden, versuchten wir unsere Forschungsstrategien zu überarbeiten. Statt Großgruppe (gesamte Klasse, Sesselkreis und/oder Frontalunterricht) wurden Kleingruppen gebildet, Forschungsfragen und -themen von den SchülerInnen erhoben (mittels Einzelinterview, mittels Forschungsfragebox, in welche die SchülerInnen zu jeder Zeit anonym, so gewünscht, ihre Fragen einwerfen konnten) und diese schließlich von uns zu 4 Themen gefasst, die wir den SchülerInnen zur Auswahl stellten. Auf jede/n ForscherIn kamen nun im Schnitt 3 bis 4 SchülerInnen und ein einigermaßen eingegrenztes Forschungsthema – die Praxis sollte ab nun LehrmeisterIn sein. In sämtlichen dieser Kleingruppen gibt es Geschichten der Annäherung, der gegenseitigen Öffnung, einem Interesse am Gegenüber, der Etablierung eines gewissen Vertrauens und letztlich der Einbindung in das jeweils Andere. Das alles ist graduell zu verstehen, hier gibt es kein entweder/oder. Gleiches gilt für auftauchende Konflikte zwischen uns und den SchülerInnen, zwischen den SchülerInnen (entlang des Forschungsthemas), usw. Dringlichkeiten werden anders verteilt, die Forschungsarbeit modifiziert sich. Es scheint mir im Rückblick, dass sich hier erste Beziehungen zu einander entwickelten, die über die Forschungsarbeit in gewisser Weise hinausgingen. Weshalb habe ich diesen Eindruck und bedeutet das bereits Partizipation?

Positiv formuliert, fanden wir in den Themen – verkürzt – Liebe und Park, eine gemeinsame Ebene auf der sich sprechen, forschen, diskutieren ließ. Dabei verschwinden die Unterschiede zwischen uns und den SchülerInnen nicht, aber sie erscheinen zumindest temporär und teilweise überbrückbar. Ist das nun ein Lernverhältnis, auf das sich aufbauen lässt. Letztlich weiß ich das, wenigstens derzeit nicht sicher. Ich kann sagen, dass ich sehr viel gelernt habe über diese SchülerInnen, manche sind mir näher als andere, mit manchen gelingt das Gemeinsame ‚leichter‘ als mit Anderen, aber, wie bereits zu Beginn angemerkt, jeder dieser mir zu Beginn noch unbekannt und fremd wirkenden Namen (die merke ich mir nie) hat in mir wenigstens eine Geschichte assoziiert. Darüber hinaus, denke ich, hat uns das intensive gemeinsame Arbeiten und Forschen gezeigt wo wir Schwierigkeiten haben sozialwissenschaftliches Wissen zu übersetzen.

Nach dem 2. Semester wurde von mehreren Mädchen eine Radiosendung zu ihrem Thema gestaltet, mit der sie heute, ca. 1 Jahr danach recht unzufrieden sind – dies sei noch keine richtige Forschung gewesen, wie sie uns versichern. In diesem Argument fallen für mich verschiedene hypothetische und abgeleitete Gründe zusammen bzw. werden diese denkbar:

Sie sind jung und verändern sich stetig, was gestern cool war ist heute peinlich. Sie haben zu wenig Selbstvertrauen in ihr Tun, ihre Veräußerungen. Sie haben zu wenig Rückhalt von zuhause, von der Schule, von uns. Sie sind eitel. Sie haben damals nicht daran gedacht, dass diese Sendung dann für viele hörbar wird. Sie haben nicht gewusst, wie fremd sich die eigene Stimme als Aufnahme anhört. Sie haben gelernt, wie sie argumentieren müssen, damit wir es verstehen und gelten lassen. Sie haben ihre Ansichten über Forschen geändert, sie haben Forschen gelernt.

Zu gern würde ich nun als Ergebnis den letzten Punkt hervorheben, aber das wäre stark verkürzt und, aus einer bestimmten Perspektive, wäre es eben dann nicht Forschen und sie hätten nichts gelernt, wenn nicht all die anderen Motivationen, Barrieren, Möglichkeiten bestehen blieben. So fern des Alltags ist wissenschaftliches Arbeiten nicht.

Es folgte das 3. Semester, das aus Zeitgründen, aber auch aufgrund der bisherigen Erfahrungen in eine Projektwoche konzentriert wurde. Damit konnten wir dem oben beschriebenen Kontinuitätsproblem etwas entgegenwirken. Die Arbeiten aus diesen Gruppen weisen meiner Meinung nach deutlich stärker in ein gemeinsames Forschen, das die SchülerInnen als solches nun auch besser für sich anzunehmen scheinen. Die SchülerInnen, wer sind sie, sind sie uns alle bis heute erhalten geblieben? Heute, meint die letzte Phase dieses Projektes, die Ergebnisaufbereitung und Publikation selbiger. Zu diesem Zweck haben wir uns für die Hervorbringung und Gestaltung einer Homepage entschieden. Die Gründe dafür sind vielfältig, ursprünglich dachten wir ein Buch zu machen, doch die Heterogenität der Materialien, der Beteiligten, die Kosten heutzutage ein Buch zu publizieren, usw. legten die Homepage näher, wenngleich hier letztlich freilich die gleichen Schwierigkeiten auftreten. Jedenfalls sind uns von ca. 16 SchülerInnen, die bei der Projektwoche dabei waren, ca. 3 bis 4, beim letzten Treffen sogar 7 SchülerInnen ‚geblieben‘, die außerhalb ihrer Schulzeit, in ihrer Freizeit mit uns an dieser Homepage arbeiten. Wir bieten ihnen dafür Essen und Büroräumlichkeiten und Gestaltungs- und Ausdrucksmöglichkeiten an – eigentlich relativ wenig, wäre ich in diesem Alter einem solchen Angebot nachgekommen? Kann gut sein, denn in diesem Alter war ich froh über jeden ‚dritten‘ Raum abseits von Schule und Zuhause. Da wir die SchülerInnen ob ihres Alters jedes mal von der Schule abholen, ergeben sich viele der privateren Gespräche am Weg zum Büro, da dort angekommen, wieder die Zeitknappheit, die Arbeitsvorhaben regieren. Auf diesen Wegen habe ich mittlerweile über Liebe, FreundInnenschaft, Geschwister, Eltern, Schule, Bildung, Beruf, Politik, Xenophobie, Geld, Konsum, Sex, Drogen, Pubertät, Beziehungen beenden, Freizeitorte, Verhaltensweisen und Taktiken, etc. mit verschiedenen Jugendlichen gesprochen und möchte keinen dieser ‚Spaziergänge‘ missen. Zunehmend sind diese Gespräche aber auch in die Forschungsarbeit ‚hineingewachsen‘, so ist zumindest mein Eindruck. Waren sie zu Beginn Ablenkungen denen wir nachkommen wollten, aber nur begrenzt auch konnten, so haben diese mittlerweile ihre Orte und Zeiten zwischen uns (meist) gefunden. Dies mag sich auch daran zeigen, dass wir unsere Homepage zwar aufteilen werden zwischen unserer und der SchülerInnen-Forschung, die bestehenden SchülerInnen sich aber damit stärker um die generelle Gestaltung als auch ihre Inhalte (was wird wie gezeigt) kümmern.

Spätestens hier also doch eine Unterscheidung zwischen uns und ihnen? Wie können wir das rechtfertigen? Wir sind unterschiedlichen Institutionen mit verschiedenen Zielen und Anforderungen unterstellt, wäre eine ganz plausible Erklärung. Unterschiedliche LeserInnenschaften (mit Ersterem verbunden) eine andere. Ist das nun alles Wissenschaft? Wir wissen es noch nicht? Damit leite ich zu einer von zwei (klarerweise gibt es noch weit mehr) Leerstellen über die ich noch ansprechen möchte. Was ist mit der Analyse der Datenmaterialien? Ah, da ist noch eine dritte – das Datenmaterial, und damit eine vierte: der selbstreflexive Zugang. Es wuchert also wild unter der Oberfläche. Von hinten nach vorn. Der selbstreflexive Zugang spiegelt sich eben an der Struktur der Homepage wieder, denn wir wollen zugleich mit den SchülerInnen forschen und etwas über das Forschen mit diesen SchülerInnen aussagen. Zudem sind freilich Rahmenbedingungen, Schulorganisation, soziale Herkunft, Migration, Gender, usf. Zu berücksichtigen und zu beschreiben. Die erlebten Rollenkonflikte, vereinfacht das Zusammenfallen von ForscherIn (=BeobachterIn) und VermittlerIn, und diesbezüglich wiederkehrende teaminterne Diskussionen verweisen ebenfalls auf die Schwierigkeiten dieses Ansatzes. Das daraus resultierende Datenmaterial in Form von Protokollen (es gibt auch Audioaufnahmen, Plakate, etc. aber um diesen Punkt zu machen genügen beispielhaft die Protokolle) erzählt ebenfalls dieses Zusammenfallen unterschiedlicher Anforderungen. Ein Beobachtungsprotokoll zeichnet der möglichst weitgehende Verzicht auf Interpretationen aus, ebenso wie das ein beobachtetes Ereignis im Moment der Beobachtung bzw. unmittelbar danach notiert, festgehalten wird. Eine solche Beschreibung könnte sich etwa derart lesen: Ein Schüler, 3. Reihe neben dem Fenster, zeigt auf. Die LehrerIn erteilt ihm das Wort und er fragt ob er aufs Klo gehen dürfe, was sie ihm erlaubt. Sie ruft ihm nach: „Aber trödel nicht, du warst heute eh bereits mehrmals.“ Unsere Protokolle hingegen, verhalten sich hierzu verschieden. Sie sind stets erst im Nachhinein entstanden, in der Erinnerung, nachdem die gesamte Einheit, manchmal auch der gesamte Tag vorüber waren. Selten waren wir aber überhaupt in der Situation eine solche Perspektive, wie oben beschrieben, einzunehmen. Vielmehr waren es wir, an die die Bitte des Klogehens herangetragen wurde, möglicherweise hatten wir ebenfalls ob der Häufigkeit den Eindruck, dass es dabei noch um etwas anderes geht. Zumal wir in der Schule, in der Klasse standen – was würde seine LehrerIn sagen? Konflikte, Emotionen, Euphorie und Frustrationen, gemischt mit beobachtungsähnlichen Erzählungsabläufen stellen unser Datenmaterial dar. Ich denke, es führt nicht weit, sich allzu sehr über die Güte des Materials den Kopf zu zerbrechen, es ist das was wir haben, es bezieht sich auf eine bestimmte, in bestimmter Weise erlebte Wirklichkeit und versucht eben diese, ausgehende von diesen fixierten Eindrücken, Gedanken ausgehend zu rekonstruieren. Allerdings ist die Qualität deutlich eine andere, womit ich also nicht meine, dass es egal ist, von welcher Qualität das Datenmaterial ist, diese ist in jeder weiteren Auseinandersetzung mit dem Material zu berücksichtigen. Womit ich endlich bei der Frage nach der Analyse angekommen bin. Diese Arbeit ist intensiv und langwierig und daher in diesem Zusammenhang problematisch. Wir haben in den letzen Monaten sehr viel diesbezüglich hinzugelernt, wie ich meine. Viele Varianten haben sich als Einstieg für die SchülerInnen als kaum nachvollziehbar herausgestellt, keine ist voraussetzungslos, aber manche, wie die bereits erwähnte Beobachtung, erscheinen relativ transparent, in dem Sinn, dass die einzelnen Schritte und Übersetzungen bei entsprechend vorhandener Zeit und Betreuung gut dargestellt und also von den SchülerInnen als Praxis nachvollzogen werden können. Es gibt wenige ‚black boxes‘. Unsere eigenen Analysen haben diesbezüglich etwas an ihrem Zeitbudget eingebüßt bzw. haben sie sich teils aufgrund je aktueller Dringlichkeiten verzögert, verdichtet, etc. Wir sind noch mitten drinnen. Gleichzeitig ist jeder weitere Termin mit den SchülerInnen auch potentieller Generator neuer Datenmaterialien für eine möglichst angemessene Beschreibung und wiederum Analyse dieser Vorgänge. Erneut sind Zeitmangel, Rollenkonflikte, geteilte und vervielfachte Aufmerksamkeiten als Erschwernisse zu beobachten.

Womit ich zur zweiten wesentlichen Leerstelle komme, der Lehrerin. Wieso ist sie nicht bereits früher in diesem Text angesprochen, hatten wir nicht vor mit allen, also auch und im Besonderen mit der Lehrerin zu forschen? Ja, das hatten wir vor. Wir organisierten Treffen zwischen uns, aßen gemeinsam zu Abend, hatten witzige, interessante, spannenden Unterhaltungen, aber in gewisser Weise blieb stets ein unüberbrückbar erscheinender Abstand. Derzeit neige ich der Erklärung zu (die noch einer systematischen Analyse bedürfte), dass die Lehrerin ähnliches erwartet hätte, wie uns, dass sie aber im Gegensatz zu uns nicht die Ressourcen für eine solche Form des Einlassens zur Verfügung gestellt bekommt, sondern dafür die schulisch formulierten Anforderungen an ihre Klasse, ihre SchülerInnen zu übersetzen. Autorität, Integrität, Verantwortung, bestehende Konflikte zwischen SchülerInnen und einiges mehr, erschweren ein derartiges riskieren der einigermaßen stabilisierten Rolle im Klassenzusammenhang, ebenso wie in Richtung Schulleitung und/oder Erziehungsberechtigten. Was ist der persönliche Handlungsspielraum, welchen bietet die Rolle der Lehrerin? Welche Anforderungen werden an sie gestellt, welche Mittel ihr zur Durchsetzung in die Hand gegeben? Meine eigene Ambivalenz gegenüber Schule im allgemeinen (Militär und Kloster als die zur Verdeutlichung anzugebenden Extremfälle) ebenso wie gegenüber hervorgehobenen Lehrpersonen wurden in dieser Zeit wieder spürbar. Doch Schüler bin ich keiner mehr und so entstand auch hier eine Art 3. Position, einigermaßen empathisch (hoffe ich) gegenüber SchülerInnen wie auch der Lehrerin, aber in gewisser Weise stets auch ein wenig fremd/befremdet bleibend, ob der anderen ‚Notwendigkeiten‘ des Gegenübers. Problematisch daran ist allerdings, apropos ‚Notwendigkeiten‘, wiederum: wo bleibt die Action? Haben wir PAR mit der Darstellung unserer Ergebnisse, Forschungsprozesse in Form einer Homepage bereits Genüge getan? Wäre da nicht mehr möglich (gewesen)?

Das führt mich zu einer Frage, die mich ebenfalls ziemlich seit Beginn durch das Projekt begleitet hat: Warum Soziologie/ Sozialwissenschaften in Form einer angeleiteten Forschungspraxis an die Schule bringen? Was hat diese Wissens(generierungs)form, haben wir den dortigen SchülerInnen, LehrerInnen und sonst irgendwie Beteiligten diesbezüglich anzubieten?

Ich denke, dass eine sozialwissenschaftliche Herangehensweise andere Perspektive/n auf ‚die Welt‘ vermitteln, neues Wissen oder die (stetige bzw. auf Dauer gestellte) Arbeit hinter bereits Gewusstem, etc. zeigen kann; sie prinzipiell durch ihre Methoden, ihre Praxis besondere Fragen an ‚die‘ Welt stellt und mit darauf gegebenen ‚Antworten‘ einen spezifischen Umgang vorschlägt, tatsächlich zugleich eine andere Form der Weltbeziehung, wie auch der Auseinandersetzung mit der eigenen Wirklichkeit, dem alltäglichen Tun ermöglichen kann. Die Einnahme einer forschenden Perspektive bedeutet auch, die eigenen Kategorien, unhinterfragten Beurteilungsroutinen sich selbst bewusst zu machen, um mich dem ‚Anderen‘, seinen/ihren Ordnungsprozessen, Zuschreibungen, etc. möglichst vorurteilsfrei annähern zu können, indem die eigenen Kategorien und Routinen der Ordnung, Normalisierung, Bewertung möglichst ausgesetzt wird. Aus meinen eigenen Beobachtungen, erscheint mir ein solcher Zugang als eine Chance innerhalb der Schule im Allgemeinen, neben dem zu vermittelnden Faktenwissen, Wissens- und Frageformen zu vermitteln, in deren Fokus die Herstellung und Generierung eben solcher Fakten und deren sozialer Bedeutung/en stehen. Die Jugendlichen, wie auch die LehrerInnen sind in ihrem Alltag stetig konfrontiert mit Abgrenzungen, Zusammenschlüssen, Zugehörigkeiten und Ausschlüssen, dem Verhältnis zwischen Individuum und Gruppe/Kollektiv, Fragen der Identität, Formen der Einteilung, der Bewertung, usw. Das ist nicht alles, aber ich denke, wir können zeigen, wie diese alltäglichen Routinen Platz greifen und die geteilte Wirklichkeit prägen. Zugleich scheinen eben diese einigermaßen ’soziologisierten‘ Begriffe, zumindest als Dimensionen in vielen der Fragen seitens der SchülerInnen enthalten. Beispielhaft: Für ein Mädchen, so erzählt sie einmal, sei es schwierig sich einem Burschen anzunähern, den sie mag, aber der kleiner ist als sie. Bei Beiden (wenngleich ich seine Position nicht kenne, aber es ist ja auch ein Beispiel) scheint die Sorge, die eigene, innerhalb der Schule mühsam erarbeitete Identität mit einer solchen für Andere sichtbare werdende Zuwendung, zu riskieren, im Zentrum zu stehen. Es wäre vermessen hier Revolutionen zu erwarten und dennoch erlaubt die sozialwissenschaftliche Herangehensweise von der ich spreche, soziale Ordnungskategorien wie Alter, Geschlecht (ja, vielleicht auch die Heteronormativität) auf ihre Tragfähigkeit für das eigene Leben hin abzuklopfen. Wir können deren Genese und Relativität ergründen, ihre Stabilisierung und Gewalt nachverfolgen und möglicherweise auf dieser Basis neue Allianzen gründen, andere Orte und Gruppen finden, usw. Und hierin liegt, meiner derzeitigen Meinung nach, das – zugegeben (oder hoffentlich) recht bescheidene – Emanzipationspotential dieses Zugangs, indem Handlungsspielräume ebenso wie Räume des vermindert riskanten Austauschs eröffnet werden können, die Action also.

Wir betreten damit endlich das unebene Terrain von Interpretation, Analyse und schließlich Rückführung selbiger in das wissenschaftliche ‚System‘, in Form der Publikation, um das wir uns derzeit noch mit einigen der teilnehmenden SchülerInnen bemühen. Nicht allen ist es möglich oder auch der Aufwand wert, in ihrer Freizeit an unseren Treffen zur Gestaltung der gemeinsamen Homepage teilzunehmen. Gelingende Analysen sowie Bindung der TeilnehmerInnen, der Ko-ForscherInnen, sind also (in Kontrastierung zu Fällen des Scheiterns) Themen, denen wir uns in unseren Analysen des Projektprozessverlaufs wohl noch zuwenden sollten.

Damit möchte ich zum Schluss und auf meine ersten beiden Fragen zu Beginn zurück kommen.

Was verstehe ich unter PAR? und Wen umfasst ‚Wir‘?

Beides lässt sich momentan nicht definieren. Ich denke aber, dass Partizipation eine Entscheidung seitens ‚der‘ Wissenschaft ist. Sie ist keine Revolution. Die Unterschiede, Vielfältigkeiten, Probleme, Sorgen, Rollen, Notwendigkeiten, Überzeugungen, Glaube, Werte, etc. aller Beteiligten bleiben (meist) hartnäckig und bestehen. Aber wir können ins Gespräch miteinander kommen, können unsere Ordnungsvorstellungen und -kategorien einander mitteilen, versuchen um sie zu werben, indem wir sie ein Stück weit praktisch nachvollziehbar machen, ihre Chancen und Grenzen aufzeigen und sie damit bis zu einem gewissen Grad auch riskieren, dass sie an anderen Wirklichkeiten zerbricht. Womit für mich ein Lernen der Wissenschaften durch Partizipation, Teilnahme an der Welt, angesprochen ist.

Das ‚Wir‘ erscheint dabei als ein Flüchtiges, Fließendes, stets Partielles, Fragmentiertes: Wir: die forschende Kleingruppe, Wir: das Projektteam bei internen Besprechungen, Wir: ForscherInnen und Lehrerin tauschen uns beim Abendessen aus, Wir: ein paar FreundInnen innerhalb der Klasse, Wir: die Klasse, Wir: eine Türkin und eine Bosnierin sind FreundInnen, Wir: grenzen uns von denen dort ab, Wir: verstehen nicht was die dort machen, Wir: ein Schüler und ich plaudern über unsere Berufsvorstellungen, Wir: die WissenschafterInnen, Wir: ein Projekt in Sparkling Science, usw. Welche Handlungsmöglichkeiten und -barrieren, Ein- und Ausschlüsse, Wissensformen (Geschichte(n), Zukünfte, Wünsche, Fakten, Ordnungskategorien, etc.), Beziehungen und schließlich Praxen diese Konstellationen jeweils und zueinander hervorbringen, dem gilt diesbezüglich mein Interesse.

Von einander lernen! Reflektierende Gedanken zum 1. Jahr des Schul-Forschungsprojekts

von Doris Harrasser.

Ein Grundgedanke partizipativer Forschung ist die gemeinsame Entwicklung von Forschungsfragen und Strategien um diese beantworten zu können. So war es auch in unserem Projekt „Tricks of the Trade“ zu Beginn alles andere als klar, was und wie wir gemeinsam mit den Schüler_innen und der Lehrerin unserer Partnerschule forschen würden.

Wie ist es aber überhaupt möglich etwas gemeinsames zu entwickeln, in einer Situation, in der wir Forscher_innen als schulfremde Personen auf Schüler_innen und Lehrpersonen treffen, die wir nicht kennen und deren Schulalltag uns zwar da und dort an unserer eigene Pflichtschulzeit erinnert, aber dennoch eine fremde Kultur darstellt?

In der Eingangsphase unseres Projekts hatten wir (vom Forschungsteam) den Wunsch die Schüler_innen und die Klassenkultur erst einmal kennen zu lernen, um eine Vertrauensbasis und ein wechselseitiges Verstehen aufzubauen. Unsere Vorstellung dieses Ziel in Form von Hospitationen im Schulalltag zu erreichen, war aber in der Praxis letztendlich nicht durchführbar. Eine beobachtende Teilnahme am Unterricht war nicht möglich, da diese von der Klassenlehrerin als zu störend und irritierend eingeschätzt und abgelehnt wurde. Es war also von unserer Seite eine Anpassung an das Forschungsfeld notwendig, denn immerhin waren wir es ja als Außenstehende, die sich in das „System“ Schule involvierten und somit unser Vorhaben in den schulischen Alltag zu integrieren versuchten. Der Beginn unseres Projektes war also stark davon gekennzeichnet die strukturellen Möglichkeiten einer Schul- Forschungskooperation auszuloten. In welchen Zeiträumen und in welcher Form war es überhaupt möglich, mit den Schüler_innen und der Lehrerin zusammen zu arbeiten? Wir lernten in dieser Zeit einiges über die Ordnungsstrukturen in unserer Partnerschule. Zum Beispiel, dass uns als „schulfremden“ Personen der Aufenthalt in der Schule nur unter Aufsicht einer zuständigen Lehrperson gestattet war oder dass die Arbeit mit den Schüler_innen im Schulgebäude nur im Rahmen des regulären Unterrichts möglich war. Aufsichtspflicht und versicherungstechnische Regelungen stellten wesentliche Elemente in der Organisation unserer Schul- Forschungskooperation dar, ebenso wie pädagogische Überlegungen zur Verträglichkeit unserer Anwesenheit für einzelne Schüler_innen, aber auch für die Klassenkultur. Aus unserer anfänglichen Vision eines Freifachs „(Sozial)Wissenschaftliches Arbeiten“  entwickelte sich im ersten Semester eine Art Projektunterricht zu dem wir uns ca. alle zwei Wochen für zwei Unterrichtseinheiten in der Schule einfanden.
Wie die meisten Organisationsformen brachte diese Projektstruktur einige Vor- und Nachteile mit sich. Positiv war, dass wir so alle Schüler_innen einer Klasse mit unserer Idee, gemeinsam Sozialforschung zu betreiben, erreichen konnten und so möglichst viele Schüler_innen die Möglichkeit erhielten, daran teilzunehmen. Weiters brauchten wir uns nicht um die zeitlichen und örtlichen Projektstrukturen zu kümmern, da diese durch die Unterrichtszeit und den Unterrichtsort vorstrukturiert waren. Andererseits ging dadurch unser ursprünglicher Anspruch einer freiwilligen Mitarbeit verloren.

Im 2-Wochenrhythmus in jeweils zwei Unterrichtseinheiten ein partizipatives Forschungsprojekt zu gestalten, stellte allerdings für alle Beteiligten eine Herausforderung dar. Zunächst war es für die Schüler_innen alles andere als klar, was mit Sozialwissenschaft gemeint sein sollte und wie wir gemeinsam Sozialwissenschaft betreiben könnten, war ja auch für uns als Forschungsteam alles andere als vorhersehbar. So gestaltete sich das erste Semester als eine Mischung aus wechselseitigem Kennen lernen von Schüler_innen und Forscher_innen, unserem Versuch ihnen wichtige Elemente zum Verständnis von Sozialforschung zu vermitteln (welche Fragen stellen Sozialforscher_innen, wie kann die soziale Welt erforscht werden – mit welchen Methoden?) und einzelnen Versuchen Miniaturforschungen in der Schule auszuprobieren: Zum Beispiel durch Beobachtungsrundgänge in der Schule. Schwierig in dieser Forschungsphase war: Die Arbeit im ganzen Klassenverband oder viel zu großen Teilgruppen, eine sehr große Fluktuation bzgl. der anwesenden Schüler_innen aber auch die Unklarheit, wohin denn unser Projekt letztendlich führen sollte. Da wir ja nicht vorgeben wollten, was denn nun gemeinsam erforscht werden sollte, entstanden immer wieder Momente der Orientierungslosigkeit.

Die Basis jeder Forschungsarbeit ist ein zentrales Thema, bzw. eine Forschungsfrage die im Zentrum der Auseinandersetzung steht. Nach der ersten Phase des Kennenlernens galt es also, Themen und Fragestellungen für unsere gemeinsame Forschung zu bestimmen. Dies klingt so leicht, in der Praxis ist es aber alles andere als leicht, sich für ein Interessensgebiet zu entscheiden. Wir stellten eine Forschungsfragebox im Klassenzimmer auf, in die Fragen geworfen wurden; wir führten Interviews mit jedem der Schüler_innen um ihre Interessensgebiete und Themenwünsche zu erfassen. Die daraus entstandenen Themen und Fragen gruppierten wir in der Folge zu mehreren Themenblöcken, aus denen die Schüler_innen in der Folge ein Thema für sich auswählen sollten.
All dies klingt recht einfach, in der Praxis war dieser Aushandlungs- und Entscheidungsprozess allerdings ein sehr langwieriger und anstrengender Prozess. Der Versuch diesen Prozess möglichst partizipativ zu gestalten und möglichst nicht über die Köpfe der Schüler_innen hinweg Entscheidungen zu treffen, war nicht immer ein emanzipatorischer Akt, sondern auch immer wieder überfordernd, anstrengend und nervenaufreibend für alle Beteiligten.

Die Gruppenfindung zu verschiedenen Forschungsthemen am Ende des ersten Semesters war für mich persönlich ein Meilenstein und eine große Erleichterung. Denn nun konnten wir uns (was meine Forschungsgruppe betraf) auf das Thema „Chatten“ konzentrieren.

„Warum chatten Jugendliche?“ war die zentrale Frage mit der sich unsere Forschungsgruppe (3 Schülerinnen und ich) beschäftigten. Von Beginn an war für mich klar, dass die Mädchen eine weitaus größere Expertise in Bezug auf das Thema Chatten mitbrachten als ich. Ich selbst verwende das Kommunikationsmedium Chat nur sporadisch – aus dem Alltag der Mädchen ist es hingegen nicht wegzudenken und ein zentrales Medium, um mit anderen zu kommunizieren. Während die Mädchen also die Expert_innen in Bezug auf das Thema „Chatten“ waren, konnte ich mein Wissen um sozialwissenschaftliches Arbeiten (z.B. Methoden zur Datenerhebung und Analyse) in die gemeinsame Forschung einbringen. Dieses gemeinsame und auch von einander Lernen, stellte sich im Laufe des Projekts als ein wesentliches Element der partizipativen Forschung mit Jugendlichen heraus.
Die Auswahl der Forschungsmethode erfolgte durch die Schülerinnen. Sie entschieden sich dafür, Chatprotokolle zu speichern und auszudrucken um diese in der Folge zu analysieren. So entwickelte sich eine Forschungssituation, die sehr eng mit den Alltagspraktiken der Mädchen, in Bezug auf das Chatten, in Verbindung standen. Dies hatte Vor- und Nachteile. Einerseits erhielten die Mädchen dadurch die Möglichkeit auch im Rahmen des Projekts zu chatten, was ihnen großen Spaß bereitete; andererseits war es dadurch auch nicht immer leicht einen distanzierteren, wissenschaftlichen Blick auf das Thema Chatten einzunehmen. Dafür Raum und Zeit zu schaffen stellte sich im Laufe des Projekts als meine Aufgabe heraus. Aus den erstellten Chatprotokollen wählten wir zunächst eines aus. In der Folge wurde es übersetzt (denn die Mädchen kommunizierten im Chat durchwegs in ihrer Muttersprache – die nicht Deutsch war). Nach dieser Aufbereitung der Daten versuchten wir diese interpretativ zu erschließen. In der Praxis bedeutete dies, einzelne Protokollstellen gemeinsam zu lesen, ihre Bedeutungen zu erfassen, sie zu diskutieren, interessante Themen zu bestimmen, Fragen zu formulieren und/oder erste Thesen zu generieren. Dieser analytische Umgang mit Kommunikationen aus dem Chat stellte für die Schülerinnen einen ganz neuen Zugang zu ihrer sonst üblichen Praxis des Chattens dar. Eine neue Möglichkeit über die eigene Alltagspraxis nachzudenken, diese mit der Praxis anderer zu vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. In dieser Situation waren die SchülerInnen sowohl Subjekte, also auch Objekte der Forschung, je nachdem ob der Blick auf die eigene Chatpraxis, oder die der anderen gerichtet wurde. Auch ich wurde gelegentlich zum Forschungsobjekt – wenn meine eigene Chatpraxis zum Thema wurde.

Im Laufe des Chatprojekts das sich, über das Sommersemester erstreckte, wurden auch einzelne Treffen aus dem Schulkontext ausgelagert und in die Freizeit der Schülerinnen verlagert; auch deshalb weil es die Möglichkeit gab eine Radiosendung zum Forschungsthema zu gestalten und dafür mehr Zeit notwendig war, als im Rahmen des Schulunterrichts zur Verfügung stand. Die Bereitschaft der Schülerinnen das Projekt in ihrer Freizeit fortzuführen deutet darauf hin, dass sie es positiv für sich nutzen konnten.
Was eine solche Form der Wissenschaftskommunikation mit Kindern und Jugendlichen leisten kann ist, ihnen einen Einblick in den Prozess sozialwissenschaftlicher Wissensproduktion zu ermöglichen, indem sie selbst in diesen involviert sind. Von der Auswahl eines Themas oder einen Fragestellung, der Datenerhebung und Analyse bis zur Präsentation von Ergebnissen. Sie lernen, dass solch ein Prozess von unzähligen Entscheidungen, aber auch von den Rahmenbedingungen der Forschung abhängt und dass die Forscher_innen selbst einen wesentlichen Betrag zur Konstruktion von Forschungsergebnissen leisten. Ich als Forscherin wiederum erhielt durch unser Projekt einen sehr intimen Einblick in die Lebens- und Kommunikationswelt von Jugendlichen, den ich wohl ohne unser gemeinsames Forschen am Thema Chatten nicht erlangt hätte. Die in diesem Rahmen von mir erhobenen Daten, die ich in Form von Gedächtnisprotokollen und Audioaufnahmen sammelte, erfordern allerdings einen sehr sensiblen Umgang von meiner Seite. Nämlich dann, wenn die Schülerinnen zu „Objekten“ meiner oder unserer Forschung werden. Zum Beispiel, wenn wir darüber nachdenken und danach fragen, wie denn nun unser partizipatives Projekt gelaufen ist.

In Bezug auf Methodendiskussionen in der Soziologie stellt ein solches Projekt auch die Möglichkeit dar, die Wege und Mittel der sozialwissenschaftlichen Erkenntnisproduktion zu hinterfragen. Gerade im gemeinsamen Forschen mit Jugendlichen können Forschungspraktiken auch reflektiert, hinterfragt oder transformiert werden. Zum Beispiel wurde in unserem „Chatprojekt“ die Dominanz des Mediums Schrift augenscheinlich, um sowohl Aussagen der beforschten Personen (der Gesprächsparter_innen) im Chat, als auch unserer Forschungsergebnisse zu fixieren. Durch die Produktion der Radiosendung kam jedoch zu mindestens ein weiteres Verbreitungsmedium zum Einsatz.

Als sich einmal ein paar ForscherInnen in eine öffentliche KMS verirrten…

Gedanken zum Projekt von der Partnerlehrerin Dagmar Schulz

Als vor zwei Jahren der Wunsch an mich herangetragen wurde, ein partizipatives Forschungsprojekt mit dem Forschungsteam von Science Communications Research und meiner Klasse durchzuführen, war ich einerseits etwas skeptisch was die Durchführung betraf, andererseits stellte ich mir eine Zusammenarbeit aber auch spannend und interessant vor. Weiters war und ist es mir ein Anliegen, außerschulische Personen/Organisationen in das Schulleben einzubeziehen, um diesen ein differenzierteres Bild des Systems „Schule“ zu vermitteln, als es üblicherweise in diversen Medien verbreitet wird.

Zu Beginn galt es zu allererst einmal, Zeitressourcen im Rahmen des Unterrichts für das Projekt frei zu machen. Dem Wunsch des Forschungsteams, das Projekt als Freigegenstand in der Schule anzubieten, konnten wir nicht nachkommen, da das begrenzte Stundenkontingent dies nicht zuließ und auch die für einen Freigegenstand nötige TeilnehmerInnenzahl nicht vorausgesetzt werden konnte. Daher wurde das Projekt in den Regelunterricht integriert: Im ersten Jahr wurde alle 14 Tage 2 Stunden gemeinsam gearbeitet/geforscht und im zweiten Jahr 35 Stunden im Block in Form einer Projektwoche. Von Freiwilligkeit oder gar Wahlmöglichkeit war allerdings ab diesem Zeitpunkt für niemanden (Lehrerin, SchülerInnen und Wissenschaftsteam) mehr die Rede.

Besonders in der ersten Phase des Projektes ging es darum, geeignete Formen des Zusammenarbeitens zwischen den SchülerInnen und den WissenschafterInnen zu finden. Ich ließ dem Forschungsteam dabei sehr viel Freiraum. Vor allem in der Arbeit mit der Gesamtklasse kam es immer wieder zu sehr turbulenten, unruhigen Situationen, was ich einerseits auf die doch schwierige Klassensituation/SchülerInnendisposition zurückführte, aber auch auf die geringe Erfahrung der ForscherInnen in der Arbeit mit Schulklassen.
Die Arbeit in Kleingruppen ab dem Sommersemester 2009 ermöglichte eine produktivere, ruhigere und konzentriertere Zusammenarbeit zwischen den SchülerInnen und den ForscherInnen. Es ist sicher, dass durch die Arbeit mit den ForscherInnen gruppendynamische Prozesse in die Wege geleitet wurden, die in den Unterricht hinein wirkten. Fraglos haben viele SchülerInnen von der Zusammenarbeit mit den WissenschaftlerInnen profitiert, sie haben ihren Horizont erweitert, fühlten sich ernst genommen und als Gesprächspartner akzeptiert. Die SchülerInnen konnten ihre Kompetenzen steigern. Sie konnten ihr eigenes Umfeld, ihren Alltag aus einer anderen Perspektive betrachten und auf praktischer Seite „soft skills“ wie Präsentieren vor Anderen, Interviewen oder die Verwenden bestimmter Software ausprobieren und üben. Bei einigen SchülerInnen war darüber hinaus eine Steigerung des Selbstbewusstseins zu beobachten. Andererseits wurden Verhaltensweisen aus dem Forschungsprojekt (Aneignen von Sprechsituationen und Raum für eigene Befindlichkeit) in die Schulsituation übernommen, was sich nicht nur positiv, sondern auch in Form von schwierigem Verhalten im Unterricht bemerkbar machte. Nicht alle Veränderungsprozesse waren von meiner Seite erwünscht. Wenn Forschung in die Schule kommt, gibt es dort also Veränderung und nicht jede ist von vorn herein als positiv zu bewerten. Darüber sollte man sich klar sein, wenn man sich an Schul- Forschungskooperationen beteiligt.

Ein weiterer heikler Punkt war mit der Aufsichtspflicht für SchülerInnen verbunden, da für die Zeit der Anwesenheit von PflichtschülerInnen in der Schule auf Grund ihres Alters für diese vom Gesetz her die Verantwortung übernommen werden muss. Für mich war klar, dass ich den äußeren Rahmen garantiere. Richtlinien, die im Schulalltag Standard sind, um Verantwortungsbereiche festzulegen, mussten im Rahmen des Projektes erst erarbeitet werden, damit ein gemeinsames Forschen, besonders auch außerhalb des Schulgebäudes möglich wurde. Das Einholen von Einverständniserklärungen der Eltern für diverse Aktivitäten war mit Organisationsaufwand verbunden. Dies ist eine spezielle Situation für die Durchführung von Forschungsprojekten in der Sekundarstufe 1. Ich denke, dass das „Sparkling Science“ Programm, das eher für die Forschung mit ausgewählten OberstufenschülerInnen konzipiert ist, in der Pflichtschule und speziell in einer KMS auf Schwierigkeiten trifft – sowohl was den Inhalt als auch den Durchführungsrahmen betrifft, da von Seiten der Ausschreibung nicht überlegt wurde, wie man dieses Forschungsprojekt in die – an und für sich nicht sehr flexiblen – Rahmenbedingungen der Schulorganisation integrieren soll und außerdem die Ressourcen begrenzt sind. So würde ich unbedingt auch für die Lehrpersonen, die an solchen Projekten teilnehmen, eine Herabsetzung der Unterrichtsverpflichtung um mindestens zwei Stunden fordern, damit eine Kooperation mit dem Forschungsteam, Teilnahme an Teamsitzungen, Planung, Verfassen von Texten etc. ohne Selbstausbeutung möglich sind. Weiters müssten die Organisationsstrukturen von SchulrechtsexpertInnen erarbeitet werden.
Die Implementierung einer Dauerpartnerschaft wurde im Rahmen der Ausschreibung Sparkling Science im Frühjahr 2010 geplant. Angedacht war eine Kooperation zwischen der KMS Pfeilgasse und des Science Communications Research im Rahmen von Schnupperpraktika, um SchülerInnen einen Einblick in die Organisation von Wissenschaft und Forschung zu gewähren. Leider wurde unser Projekt allerdings dieses Mal nicht mehr gefördert.

„Participation is empowerment and empowerment is politics“.

 

Ja, mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht
und mach dann noch ’nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.

Bertolt Brecht, Dreigroschenoper

 

Partizipation ist politisch oder sie ist nicht.

Skizzengedanken von Karin Schneider

Achtung: Beim folgenden Text handelt es sich um ein Essay-Kommentar. Wissenschaftliche Analysen und exaktere Projektbeschreibungen finden sich hier unter den anderen „Texten zu Partizipation„, dem Projekt Hintergrund und den Wissenschaftlichen Texten

Ja mach nur einen Plan, oder wenn die Partizipation zu gallopieren beginnt. Das Vorwort.

Verlaufen die nächsten Tage so wie sie geplant sind (und das tun Tage oft nicht) dann wird auf dieser homepage eine Projektpräsentation in dem unabhängigen Fernsehkanal „OKTO“ (#link) zu sehen sein. (Reality check: ist der link gesetzt, ist der Plan aufgegangen, ist er nicht gesetzt, sein die Leser_innen frei zu spekulieren warum´s nicht geklappt hat und was wir alle daraus wohl für Schlüsse gezogen haben mögen – da sich dies alles jenseits der Projektlaufzeit abspielt wird es der Öffentlichkeit verborgen bleiben). Für „Okto“ ist dies nichts Besonderes, da die „Jungendredaktion“ partizipatives Fernsehen mit und für Jugendliche macht. Für ein „sparkling science“ Projekt wie unseres ist die Repräsentation in so einem Format ebenso nichts Besonderes, da der Anspruch einer öffentlichen Präsentation bereits im Antrag formuliert ist und von einer Förderungsschiene wie „sparkling science“ gewünscht wird. Unabhängiges Fernsehen und seine Jugendschiene und partizipative Forschungsförderung arbeiten sozusagen implizit Hand-in-Hand um die Figur der jugendlichen Forscher_innen fröhlich in Szene zu setzen (wer hat hier nicht gleich ein Bild von kleinen gescheit dreinblickenden Jungen oder Mädchen im Kopf, sie haben weiße Kittel an und blicken kritisch-entspannt auf ein Reagenzglas). Damit wäre der PR Auftrag eines solchen Projektes erfüllt. Unser Projekt hat, je nach Interpretation eine kleinen Haken oder einen kleinen Bonus: Es sind nicht die fröhlich wissenschaftstreibenden Nachwuchsakademiker_innen sondern Jugendliche, die unter dem Label „bildungsfern“ firmieren. Dieses, nicht besonders freundlich klingende label bekommen sie, weil ihre Eltern keine akademische Ausbildung haben, deutsch mit türkischem oder serbischen Akzent sprechen, Arbeiter oder Arbeiter_innen sind und auch weil sie Dinge nicht wissen, die es in Österreich zu wissen gilt (und andere Dinge wissen, zum Beispiel was in der Türkei viele Menschen über Kurden denken, was eine „Sure“ ist und wie das auf Arabisch geschrieben wird, wie es bei einer türkischen Hochzeit zugeht, wie es ist, von Bosnien just in Klagenfurt zu landen etc… das sie dies wissen, macht sie noch ferner dessen, was Österreicher_innen-Wissen ist. Über Bildung möge, so sagt es uns ein Plakat im Wiener Wahlkampf 2010 nur auf deutsch gesprochen werden). „Bildungsferne“ hat die Geografie schon im Namen. Die einen p.t. Leser_innen werden die Inklusion dieses Labels in ein „Sparkling Science Projekt“ nun als „Bonus“ sehen, wie einen Bonus-Track auf einer DVD, nicht nötig, nicht unbedingt im Fokus, eher überraschend, aber positiv. Die anderen werden skeptisch die Augenbraue zücken, denn das hätte mensch den „Bildungsfernen“ (die ja auch OKTO fern sind, Medienauftrittsfern, Jugend-forscht-fern) nicht zugetraut. Echt nicht. Und daher kann es sich dabei vermutlich nur um Manipulation unsererseits handeln (die Skepsis ist berechtigt, denn die andere Seite der Medaille des Ausschlusses „bildungsferner“ Migrant_innen-Kinder ist deren gutgemeinte Inszenierung als Beweis gelungener Integrationspolitik). Und außerdem ist der Nachweis, dass sie das können, die Bildungsfernen, auch damit nicht erbracht (dieser Satz ist ein freies, entkontextualisiertes Zitat aus einem der Projekt-Gutachten). Etc. Etc.
Das Besondere an diesem Plan für die nächsten Tage – OKTO Auftritt der drei die (selbsternannte) Homepageredaktion bildenden Jugendlichen – ist das tatsächlich nicht wir, die Forscher_innen sondern einer der dreien selbst diesen Auftritt wollte und organisierte. Überhaupt ist uns in der letzten Projektphase die Partizipation sozusagen „davongallopiert“ und hat sich selbst realisiert. Während wir, die professionellen Wissenschaftler_innen, mit Text-schreiben, Konferenzbeiträgen, papers, Gruppendynamik, (gescheiterten) Prozessanalysen,… beschäftigt waren, forderten zumindest drei der Jugendlichen ein, ihnen Räume und Zeit zu widmen, um an diesem, dem „gemeinsamen Projekt“ zu arbeiten und eine Homepage zu entwickeln, die zumindest annähernd von ihren Ideen geprägt sein solle. Sie forderten also uns zur Partizipation auf! Natürlich verwendeten sie anderes Vokabular, aber sie erinnerten uns daran, dass es doch ein gemeinsames Projekt sei, sie fühlten sich für dessen gelungenen Abschluss verantwortlich und auch für dessen Finanzierung. Eine Schülerin hatte zum Beispiel die Idee, falls es keine weitere Förderung geben sollte mittels Flohmarkt das Geld für die Präsentation der Homepage zu erwirtschaften. Sie waren sich gleichzeitig auch ihrer eigenen Position im Projekt bewusst, und begannen uns mit Gehaltsverhandlungen ganz schön in Verlegenheit zu bringen. Interessant war dabei aus meiner Sicht weniger, dass plötzlich einer von ihnen auf die Idee kam, einen Laptop zu wollen, sondern die Argumentationsweise, die sie öfter vorbrachten: Ohne ihre Teilhabe hätten wir nämlich gar kein Projekt mit Jugendlichen machen können und folglich auch keine Förderung dafür bekommen: Ohne sie hätten wir gar kein Projekt machen können, das sich partizipativ nennt. Damit haben sie eine der wichtigen unausgesprochenen Grundregeln partizipativer Projektpraxis durchschaut: Dass diese die Partizipierenden braucht um zu entstehen. Gleichzeitig haben sie sich diese Regel zu nutze gemacht und das Projekt nicht als passiv Teilhabende sondern als aktiv Selbstgestaltende beansprucht. Das von uns im Projektantrag formulierte „empowerment“ löste sich also ein, und zwar just in einer Projektphase, in der dies gar nicht mehr vorgesehen war. Ich gehe davon aus, dass es kein Zufall ist, an welchem Punkt das Projekt auch zu ihrem wurde. Mich beschäftigte diese Ungleichzeitigkeit, denn ich denke daraus ließen sich einige ganz brauchbare Gedanken ziehen. Diese letzte Phase war im vergleich zu allen anderen dadurch gekennzeichnet, dass ein ganz konkretes Ding – nämlich eine Homepage – fertig zu machen war. Die folgenden Thesen beruhen auf diesem Gedanken: Dass ein konkretes Tun etwas in Gang setzten konnte das dann in Richtung Reflexion des gesamten Prozesses führte. Meine Überlegungen beruhen auf der etwas wehmütigen Feststellung, dass wir diesem Bereich, der „Aktion“, weniger Bedeutung im übrigen Prozessverlauf zugemessen haben, als dies im Sinne der „Participatory Action Research“ (PAR) möglich gewesen wäre. Ich denke darüber nach, warum dies möglicher und berechtigter Weise der Fall gewesen sein mag. Ich unterstelle uns, den professionellen Forscher_innen eine Furcht vor der Aktion, die ebenfalls nicht unberechtigt ist und plädiere gleichzeitig dafür, diese im Sinne gelungener Partizipation zu überwinden oder mit Aktionsformen zu experimentieren. Ein solches Experiment ist ein politischer Akt, da er bewusst in Kauf nimmt neue Fakten zu schaffen. In diesem Fall die Tatsache, dass das Projekt auf OKTO vorgestellt werden wird, ohne dass wir, die professionellen Forscher_innnen das planten – so alles nach Plan läuft. Und das weiß mensch ja nie, wenn es um Partizipation geht.
Als Beispiel dienen mir jeweils einzelne Szenen aus den Forschungsgruppen, die ich im Projekt selbst betreute. Ich nehme mir in diesem Fall heraus, meine eigene Zögerlichkeiten zu benennen, zu kritisieren, zumindest auf der textuellen Ebenen zu korrigieren und andere Wege, die hätten gegangen werden können, vorzuschlagen.

Die Thesen

1. PAR ist pragramatisch naiv (und das kann dem kritischen Denken Probleme machen)
in dem Sinne, dass die PAR „Approach“ also die Haltung mit welcher PAR Forscher_innen ins Feld gehen oder aus dem Feld heraus sich zu Forscher_innen entwickeln eine ist, die so tut also ob sie nicht wüsste, dass NICHT alle forschen können weil nicht alle forschen dürfen, und die so tut als ob sie nicht wüsste, dass Probleme auf der Mikroebene zwar beobachtet nicht jedoch gelöst werden können. Im Gegenteil: PAR ist frisch, optimistisch und munter. In der Literatur finden sich Sätze wie „jeder/jede kann forschen“ (Lit XX). Ich bezeichne diese Haltung als „pragmatisch naiv“. Damit meine ich, dass ein solcher Forschungsansatz nicht grundsätzlich so naiv ist zu übersehen, dass es Disziplinierung und Professionalisierung gibt, die „bildungsferne“ Menschen aus der Produktion von Wissen ausschließen. Doch wird diese Einsicht probehalber, eben aus pragmatischen Gründen, ausgesetzt um eine Haltung der Gleichheit aller am Prozess Beteiligter zu entwickeln. Die Idee ist, dass nicht-professionelle Forscher_innen selbst neugierig und wissbegierig in Bezug auf ihre Lebensumwelt sind. Sie wissen bereits viel über ihr Umfeld , dieses Wissen kann und soll in der Forschung aufgegriffen werden. Den Ko-Forscher_innen wird zugesprochen selbst systematische Betrachtungen ihrer Lebenswelt anstellen und daraus neues Wissen generieren zu können. In einem weiteren Schritt bietet sich dann sehr wohl die Möglichkeit, über die Vorraussetzungen und Machtbeziehungen in dem jeweiligen Prozess nachzudenken. Möglicher Weise ergeben sich genau durch die zeit- und probeweise Neudefinition von Forschung als demokratischem Prozess neue Ansatzpunkte für Forschungs- und Wissenschaftskritik. Jedoch sei eingeräumt, dass eine solche Haltung die Gefahr beinhaltet, diesen folgenden Schritt zur Reflexion des eigenen Tuns zu vergessen und tatsächlich naiv zu werden.
Dies mag unsere Skepsis gegenüber dieser Haltung rechtfertigen:
Wir haben uns in diesem Projekt nicht immer mit Haut- und Haaren der „pragmatischen Naivität“ hingegeben, sondern in den Teamsitzungen unser eigenes Tun mit den Schüler_innen immer wieder kritisch befragt und auf mögliche „Alibihandlungen“ abgeklopft: Wollen wir den Kindern ein Bild von Forschung vermitteln, das so tut als ob Forschung demokratisch wäre? Wenn ja, was vermitteln wir da? Sollten wir nicht lieber die Ein- und Ausschlüsse von Forschung und Wissenschaft analysieren, die ja genau zum Ausschluss dieser Kinder/Jugendlichen (und auch der Lehrer_innen) aus der anerkannten Produktion von Wissen führen anstatt in kleinen, kleinen Mikroexperimenten die Machtstrukturen/Unterschiede scheinbar außer Kraft zu setzen und dadurch so zu tun als wären sie nicht?  Und das führt zu These zwei

2. In einem Projekt wie diesem bleibt es oft unklar ob und was vermittelt werden soll
Tatsächlich gab es zeitweise unterschiedliche Meinungen darüber, ob wir vermitteln um zu forschen (meint: ohne gewisse methodisch didaktische Interventionen wie spielerisches Tun, Zeichnen, Filmschauen,… können Kinder wohl kaum als Datenlieferant_innen gewonnen werden, zumindest ist dies eine ziemlich weit verbreitete Vorannahme, die wir vermutlich auch unausgesprochen teilten), ob wir darüber forschen, wie wir vermitteln (also ob unsere eigenen Interventionen das eigentliche Thema im Sinne der Aktionsforschung sein müssten), ob wir vermitteln, wie wir forschen (also den Kindern ein Bild darüber geben wollen, was „Forschungskultur“ ist – mit all ihren Ausschlussmechanismen, Chaotismen, Krisen) oder vermitteln, wie SIE forschen können (im Sinne von: wie geht Interview machen, beobachten etc) und ob dies dann wieder auf einer Metaebene erforscht werden soll. Dadurch, dass wir nicht (immer) eindeutig entschieden waren, warum wir bestimmte Vermittlungsaktionen setzten (also um Daten zu gewinnen, um Inhalte zu transportieren oder um Mitarbeiter_innen an einem Forschungsprojekt zu gewinnen) konnten wir diese auch nicht immer klar setzen und konnten die wechselseitigen Bedingungen dieser unterschiedlichen Haltungen auch nicht zeigen. Dies ist aus meiner Sicht ein Widerspruch, der sich durch das gesamte „Sparkling Science“ Programm zieht – er ist nur in einem Projekt wie dem unseren explizit. Es bleibt eben unklar, ob in solchen Programmen die Jugendlichen tatsächlich zu Subjekten der Forschung werden und ob das Wissen, das sie auf diese Weise mit uns gemeinsam generieren ernst genommen wird. Sollen Jugendliche tatsächlich ihre eigenen Interessen und Forschungsfragen entwickeln können, so ist es notwendig noch einmal darüber nachzudenken, wie denn jemand die/der qua gesellschaftlicher Verhältnisse und Zuschreibung aus der Produktion von Wissen ausgeschlossen ist, zu einem Subjekt der Forschung werden kann.
Dafür ist es notwendig, zunächst einmal einen Schritt weg von der Frage was (oder wie oder ob) die Jugendlichen forschen können zu gehen und sich der Frage zu widmen, was die Jugendlichen machen wollen (eine aus unserem Team nannte es „der Vollzug im Realen“). Dass dieses „machen wollen“ eine Kraft (auch für die Produktion von neuen Erkenntnissen) erzeugen kann, habe ich einleitend versucht am Beispiel der Homepage und ihrer Präsentation auf OKTO zu zeigen (s.o.). Die Fokussierung auf das Tun als Epizentrum der Forschung führt zu

These 3:
3. bei PAR steht zwischen dem „P“ und dem „R“nicht zufällig das „A“
Viele qualitativ arbeitende Forschungsmethoden sind „partizipativ“ im Sinne des aktiven Involvierens der Forscher_innen in das Feld und im Sinne des aktiven Mitwirkens der Informant_innen: so ist teinehmende Beobachtung partizipativ, da die Forschenden sich dem Forschungsfeld aussetzen und jedes Interview erfordert die aktive Bereitschaft und Teilnahme seitens der Interviewten. Hier jedoch soll die Partizipation alle Teilnehmenden in ein konkretes Projekt involvieren (konkretes Projekt = Aktion=Praxis), dessen Erscheinungsform nicht mehr ausschließlich in der rein sprachlichen Ebene von Forschungsergebnissen darzustellen ist, sondern erlebt wird. Die PAR Seite „Research“ bezeichnet dabei auch eine über das gemeinsame Tun hinausgehende, dieses beforschende Komponente, die sich aber eng an die in dem Prozess eingeschlossene Aktion anbindet. „Research“ und „Participation“ machen in diesem Ansatz also nur einen Sinn, wenn sie die Action quasi umschleichen, umrahmen und sich aus ihr heraus definieren. Die Action im Sinne von PAR ist nicht einfach schlichtes Tun, sondern problembasiertes, lösungsorientiertes Tun. Die Probleme, für die eine Lösung gefunden werden soll, können Ausgangspunkt sein, sie können sich durch die gemeinsam geplante Aktion stellen (diese sogar verhindern), sie können auch in gemeinsamen Gesprächen auftauchen und dann in Praxis übersetzt werden. Beispiel: Im Rahmen der Enddiskussion der Forschungsgruppe „Liebesorte in der Schule“ formulierte eine Teilnehmerin, dass sie sich eine „Welt ohne Buben“ wünsche. Diese Formulierung erwuchs aus einer gemeinsamen Debatte und Analyse der Beobachtungsprotokolle (#link). Tatsächlich war hier das Semester und damit die kleine Forschungsgruppe zu Ende, das „Ergebnis“ blieb ein Plakat, also ausschließlich ein Textformat das dahinter stehende Begehren wurde nicht weiter verfolgt. Es hätte hier, bei einer Fokussierung auf die Aktion auch einen anderen Forschungsverlauf geben können: Aus der Phantasie „Welt ohne Buben“ (die ja auf basis ganz konkreter Gespräche über Erfahrungen dieses Mädchens in der Schule mit Buben formuliert wurde) könnte das Entwickeln von „Mädchen-Räumen“ in der Schule erwachsen und daraus das konkrete Projekt solche zu errichten und dafür alle notwendigen Schritte in Gang zu setzten. Im Sinne des # zyklischen Forschens kann eine weitere Phase genutzt werden, um das, was in der Schule möglich war und das, was nicht möglich war zu untersuchen. Meine These ist, dass die an diesem Prozess beteiligten Schüler_innen tatsächlich zu Subjekten einer solchen Forschungspraxis werden, da sich diese ganz konkret an eine von ihnen selbst gemachte Erfahrung anbindet. In derselben Forschungsgruppe tauchten Fragen nach Rassismus zwischen den Kindern auf, sie erzählten von Diskriminierungserfahrungen durch andere Kinder, weil sie Kopftuch tragen oder aus Romafamilien kommen. All diese Daten hätten in konkrete Aktionen überführt werden können um weiteres Material zu generieren, das zu bearbeiten wäre.

Ohne Problem keine PAR, denn PAR definiert sich ja dadurch, dass sie Sinn macht, weil es „ein Problem“ zu lösen gilt – wobei Problemverschiebungen ein Teil des Ansatzes sind, und „Lösungen“ auch im politischen Sinnen des Aufzeigens und forschenden Sinne des Durchdringens der Unlösbarkeit im System verstanden werden können.

4. Die „A“ erzeugt die Motivationsenergie – aber nur dann, wenn ihr Ziel NICHT darin besteht Motivationsenergie zu erzeugen
Die Action der PAR ist eines jener brauchbaren Element, das die Energie bereitstellt, die einzelne Nichtforscher_innen brauchen um sich so stark in die  Forschung zu involvieren, dass das Projekt angeeignet wird. Ein gutes Beispiel ist für mich hier die Gestaltung der Homepage für jene Kinder, die in der Homepage und ihrer Existenz oder in einzelnen Subprojekten der Homepage ein eigenes Projekt gesehen haben, für das mensch verantwortlich ist. Nur etwas, das nicht per se Forschung ist, sondern die Notwendigkeit der Forschung nach sich zieht (z.B. dadurch dass sich am Weg dahin wo wir hinwollen Schwierigkeiten ergeben, dass die Strukturen sich als hartnäckiger erweisen als mensch am Anfang angenommen hat etc) bietet den Rahmen für Nicht-Forscherinnen sich als das was sie sind (nämlich als Nicht-Forscherinnen: als Schüler_innen, Lehrer_innen, Migrant_innen, Mädchen, Buben, Fußballer, Chater_innen,…) einzubringen und nicht Forscher_innen zu spielen – ein Spiel, das ohnehin jeder/jede gleich durchschaut. Der Witz ist, dass dadurch, dass eine gemeinsame Basis geschaffen wird, tatsächlich alle zu Forscher_innen werden können.
Es ergibt sich die Motivationsenergie WEIL eine Action im Sinne der PAR nicht aus der Notwendigkeit entsteht, Motivationsenergie zu erzeugen, sondern aus einer tatsächlichen Notwendigkeit des Über/lebens der Beteiligten: Wir wollen das tun! (Weil wir es brauchen) Wie tun wir das? Wer verhindert es? Wer sind unsere Partner_innen? Was geht, was nicht? Wo versperren Strukturen den Weg, Institutionen, Einzelne? Wie wirken Strukturen etc… Anders als in vielen pädagogischen Projekten sind die Fragen nicht von Wissenden entwickelt, damit andere das lernen, was sie bereits wissen, sondern tauchen die Forschungsfragen in einem Prozess auf, der für alle Beteiligten – Schüler_innen, Forscher_innen, Lehrer_innen – unbekanntes Land ist und in dem alle Getriebene sind.

5. In einem PAR-Projekt generiert die „A“ die Daten – aber nur  dann, wenn ihr Ziel NICHT darin besteht, Daten zu generieren
Die PAR- Action ist eine Situation in der Daten darüber gewonnen werden können, wo die Grenzen des Machbaren auch innerhalb des Systems „Forschung“ liegen. Eine Action wie oben beschrieben entsteht aber erst und genau an dem Moment, wo ihr Ziel NICHT darin besteht, Daten zu generieren, sondern einen Misstand zu lösen oder auch ein gemeinsames Ding zu erzeugen. Meine These ist, dass ohne eine gemeinsam entwickelte und ernsthaft durchgeführte Action (wie die Präsentation der Homepage im Fernsehen) zu der Frage von Machbarkeit/Grenzen von Machbaren mit diesen konkreten Jugendlichen gar keine Daten gewonnen werden können.
Im Sinne von Rancier ist die „A“ etwas, das Gleiche konstituiert, da es eine Gleichheit in Bezug auf das außerhalb beider Kontexte (des Schulischen und des Forschenden) gibt. So ist die Homepage eine „dritte Sache“, von der weder die Schüler_innen noch die Lehrer_innen oder die Forscher_inne wissen, wie es geht. Es verwundert mich nicht, dass genau hier ein Moment entstand, an dem es den Schüler_inne möglich wurde, sich als Gleiche, als Lohn für ihre Arbeit einfordernde Verhandlungspartner_innen zu setzen.

6. Partizipation ist politisch – oder sie ist nicht.
Der Vorwurf an die PAR, mit dem naiven Mief der 1970er Jahre umwoben, Forschung für Politik zu instrumentalisieren, kann auch ins Positive gekehrt werden, wenn es darum geht, den Partizipations-Gedanken vom Mief des neoliberalen Zugriffs der 1990er und 2010er Jahre zu „befreien“: Das politische Moment der PAR ist tatsächlich jenes Moment, an dem Partizipation im Sinnen des „zusammen-mit“ erscheinen kann. Der Auftrag zu partizipieren ruft nun nun die Mitmachenden weder als Schüler_innen an (die durch partizipative Angebote einfach besser lernen würden) noch als Datenlieferant_innen für die Forschung (die durch partizipative Angebote bereitwilliger Auskunft erteilen). Die Subjekte werden vielmehr als Handelnde in einem Kontext konstituiert, in dem „Veränderung denken“ ein gemeinsames Anliegen werden kann, das alle gleichermaßen aufwühlt wie es allen gleichermaßen schwer fällt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen und Hintergründen. Das türkische Mädchen, das sich eine „Welt ohne Männer“ erträumte, die jugendliche Romni, die im Postulat dass „wir alle Menschen sind“ eine Möglichkeit sieht, dem gegen sie gerichtetem Rassismus die Stirne zu bieten oder der tschetschenische Junge, der sich über die Körperhaltungen armer Menschen Gedanken machte… Meine Beispiele haben hoffentlich auch klar gemacht, dass ich unter „Action“ auch das Denken und das Beobachten, das Wünschen oder das Aussprechen verstehe. Die politische Wendung der PAR könnte so als Möglichkeit verstanden und angeeignet werden, Partizipation von einer Behauptung zu einer Notwendigkeit zu machen, da sich das politische Moment über eine Kollektivität definiert die jenseits des beauftragten Projekts liegt. Dass ich am „Fuße des Projektendes“, ohne Folgeauftrag mitten in der Nacht diesem Text abermals eine neue Wende gebe, hat etwas damit zutun: Ich bin Getrieben. Getrieben nicht von Abgabeterminen (die habe ich ohnehin schon lange überzogen), sondern von Plakaten des Wiener Wahlkampfes, die auffordern über „Bildung am besten auf Deutsch“ nachzudenken, oder die „freien Frauen“ gegen den Islam mit seinem „Kopftuchzwang“ zu verteidigen, von öffentlichen Statements, die gegen Migration ganz allgemein Stimmung und Islamophobie salonfähig machen, getrieben auch von den Ausweisungen der Roma aus zentraleuropäischen Ländern gerade eben erst. Meine Lebenswelt und die der Kinder haben so dadurch? etwas Gemeinsames, das aus der engen Logik von Forschungsprojekten und Schulrealität hinausweist. Dadurch, dass die Aktion als politischer Akt verstanden wird, ist auch nachvollziehbar, dass unterschiedliche Beteiligte mit unterschiedlichen Interessen und Motivgründen hier anschieben, um ein gemeinsames Ding in Gang zu setzten oder zu verhindern. So könnte das reale Konstituieren von eigenen Mädchenräumen in der Schule (erwachsen aus Aslys „Welt ohne Buben“) für die Mädchen schlicht bedeuten, dass sie unser Projekt nutzen, ihre Räume zu bekommen und zu entwickeln, für die Lehrer_in, dass sie überhaupt in Verhandlungen über mehr Raum an der Schule für ihre Arbeit treten kann, für die Buben eigene Forderungen nach „mehr Platz für Jungs“ in Gestalt zu bringen, für die Forscher_innen zu testen, in wie weit feministische Thesen in diesem Kontext funktionieren und sich verändern.

7. Es gibt gute Gründe, keine PAR machen zu wollen. Dennoch…
Der Grund warum wir an soviel möglichen Stellen im Projekt nicht ins gemeinsame Handeln kamen, ja das gar nicht andachten oder versuchten lag vermutlich darin, dass wir nicht „programmatisch naiv“ sind oder sein wollten. Wir wollten gute Forschung machen im Sinne von sorgfältiger Grundlagenforschung, keine Vorgabe der Themen durch die Politik, keine pragmatische Problem- und Lösungsfokussierung. Das allerdings sind jedoch auch Forschungshaltungen, die sich nicht besonders gut dafür eigenen, die außerhalb der Forschung stehenden zu inkludieren, wenn sie nicht selbst bereits diese reflexiven Haltungen für sich und ihr Leben in Anspruch genommen haben. Aber selbst dann ist das Reflektieren ein Hase- und Igel spiel: Wir, die wir wissen, wie es geht sind immer schon da (gewesen), zumindest ab dem Moment, wo die eigentlichen Ergebnisse sichtbar werden, denn die liegen immer außerhalb der Themen, die wir mit ihnen durchspielten; so ein Text (und er kann noch so kritisch sein) wird immer unter Ausschluss jener geschrieben werden, die partizipatorisch einbezogen waren. Dies ist ein Widerspruch, den Grundlagenforschung schon aushalten kann und muss (ich habe ja nicht verzichtet darauf den Text zu schreiben), wenn jedoch alle Ergebnisse oder Aktivitäten rund um die Sichtbarmachung von gemeinsamer Forschung so kodiert durchgeführt werden, dass nur die geschulte Forschungscommunity damit umgehen kann, dann reproduzieren wir möglicher Weise genau jene Ausschlüsse über die wir auf der Theoriebene kritisch reflektieren. Geht es dabei um Rassismus und um herkunftsbezogene Ausgrenzung so ist dies auch eine problematische Haltung des Forschungsansatzes, da dieser eine den Rassimsmus reproduzierende Subjekt (= Forscher_in = Weiß) Objekt (= Beforschte = von Rassismus betroffene) Trennung weiterschreibt.

Zum Abschluss also: Wir waren immer wieder und länger als wir dachten „partizipativ“ in unserem Projekt. Darüber brauchen wir uns nicht zu sorgen. Doch de facto her waren wir an vielen Stellen nicht partizipativer als dies in anderen Schulforschungsprojekten notwendig gewesen wäre, um überhaupt zu forschen – vielleicht mit etwas mehr Aufwand und etwas mehr (durchaus nicht zu unterschätzendem) Output und Benefit für einzelne Schüler_innen. Um weiter zu gehen, hätten wir ein „A“ im Sinne des oben skizzierten Approaches gebraucht. Dass wir diese vermieden, hat auch gute forschungspolitische Gründe (der Nicht-Instrumentalisierbarkeit z.B.), aber das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

8. PS
So hätte ich geendet. Nun haben aber drei der Jugendliche sich zu einer Homepage – Projektgruppe definiert; sie rufen uns an, machen Termine aus, stellen Gehaltsforderungen, reflektieren die Projektlogik und die Grenzen des Machbaren, leiden mit uns am Ausbleiben des Folgeantrages und überlegen andere Mittel, um Geld aufzustellen, rufen das OKTO TV an, um einen Sendeplatz zu bekommen –
Und das alles ohne sich darum zu kümmern, ob wir alles richtig gemacht haben, was wir hätten machen müssen, um ein wirklich partizipatives Projekt in Gang zu setzen.

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